Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gott bewahre - Niven, J: Gott bewahre - The Second Coming

Gott bewahre - Niven, J: Gott bewahre - The Second Coming

Titel: Gott bewahre - Niven, J: Gott bewahre - The Second Coming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Niven
Vom Netzwerk:
einer solch kurzen Zeitspanne ...

    Wie konnte das alles bloß so dermaßen aus dem Ruder laufen? Es hatte vermutlich mit Moses begonnen. Diesem Schwindler. Einem der Ersten, die dem Ego-Trip verfielen. Als er auf den Sinai kraxelte und dort oben die eine, unberührte, makellos behauene Steintafel erblickte, in die in Gottes
wunderschöner, ach so filigraner Handschrift die Worte SEID LIEB gemeißelt waren, flippte er aus. Dank Gottes Vorarbeit hätte Moses nur noch vom Berg herabsteigen und verkünden müssen: »Hey, seid lieb, Leute! Und, tja, das wär’s dann. Ein schönes Leben noch.« Den Teufel hatte er getan. Der Hurensohn hatte sich Hammer und Meißel geschnappt und war fleißig gewesen. Vierzig Tage und Nächte lang hatte er diese kranke Scheiße in Stein gehauen. All diese »Du sollst nicht gelüsten deines Onkels Arsch noch irgendein Bildnis von ihm machen«-Kacke? Alles ganz allein auf Moses’ Mist gewachsen. Und was kam danach? Interpretationen! Diese ganze Ich-glaub-ich-weiß-was-Gott-damit-meint-Industrie. Und zack: Ein Jahrtausend später schlitzt irgend so ein fetter Irrer Tausenden von Neugeborenen die Kehle auf und schmeißt die Leichen in den Dreck, weil er der Meinung ist, er habe Gott auf seiner Seite.
    Scheiße, hatte Moses dafür Prügel bezogen, als er hier oben aufkreuzte. Gott begann mit dem Austeilen der Backpfeifen, als dieser Wichser durch die Himmelspforte trat, und hörte erst im dunkelsten Mittelalter wieder damit auf. Moses’ Wangen sahen danach aus wie zwei gekochte Rote Bete.
    Was zur Hölle gibt es an SEID LIEB zu interpretieren? Eine Frage, die Er auch Moses während dessen jahrhundertelanger Züchtigung immer wieder ins Gesicht schrie.
    Wie auch immer, das ist lange her , denkt sich Gott und seufzt, als Ihm bewusst wird, worin Seine Gedankengänge letztendlich gipfeln. Jemand würde denen da unten die Bedeutung von SEID LIEB erneut beibringen müssen.
    Er lockert Seine Krawatte und schüttet sich mehr Scotch in Sein Glas. Dann nimmt Er die schwelende Zigarre vom Rand des Aschenbechers, lehnt sich in Seinem Sessel zurück und legt die Füße mit den handgemachten Budapestern leger auf den Schreibtisch. Mit der Fernbedienung dreht Er die Musik auf: eine Mix-CD, die Sein Sohn Ihm aufgenommen
hat. »Brennen« hatte der Junge das genannt. Verzaubert von der Verfolgungsjagd zwischen den repetitiven Figuren der Akustikgitarre und der Stimme des Sängers, der Art, wie die beiden Klänge - die raue Stimme und das hölzerne Instrument - sich überlappen, verbinden, trennen, steigen und fallen, lauscht Gott andächtig Townes Van Zandts »Tecumseh Valley«.
    Gott ist hingerissen.
    Ihm, der sich in erster Linie als Schöpfer betrachtet, bereitet es das allergrößte Vergnügen, wenn Seine Geschöpfe sich selbst dem göttlichsten aller Werke widmen: aus dem Nichts etwas ins Leben zu rufen. Dieser Song besteht lediglich aus ein paar Akkorden und einigen wenigen Wörtern, und doch vermag etwas derart Schlichtes ewige Freude zu spenden. Sein Blick schweift hinüber zu Seinem Laptop, auf dessen leuchtendem Bildschirm Er eine Liste von Zitaten sogenannter religiöser Führer aufgerufen hat: im Prinzip ein einziges Kompendium bösartiger Schmähreden, Hasstiraden und Panikmache, wovon Ihn Letzteres mit Abstand am meisten erzürnt - so unverständlich es Ihm auch ist. Und doch: Dieser niederträchtige Müll wird ihnen abgekauft. Millionen von Menschen glauben daran, dass es Homosexuellen verwehrt ist, Gottes Antlitz zu erblicken. Oder jenen, die Sex mit wechselnden Partnern hatten. Drogenabhängigen. Spielern. Menschen, die nicht getauft wurden. Gotteslästerern. Ungläubigen.
    Hatten diese Typen denn gar nichts zu lachen? Im Himmel wurde ununterbrochen gekichert und gegiggelt, kein Geräusch hörte man hier häufiger. Draußen im Zentralbüro, wo es immer Freitagnachmittag war, machten ständig die neuesten, komischsten Witze die Runde. Es war mit das Erste, was man anständigen, aber verkniffenen Seelen nach ihrer Ankunft hier mitgab: Sinn für Humor. Dieser fantastische Moment, wenn es ihnen wie Schuppen von den Augen fiel und die Welt um sie herum plötzlich in Technicolor erstrahlte.
Wenn denen, die für alles immer bloß ein Stirnrunzeln und »Versteh ich nicht« übrig hatten, endlich ein Licht aufging.

    Seine Gedanken wenden sich wieder der Musik zu: John Coltrane spielt nun »A Love Supreme«. Ein Riff, wie es simpler kaum sein könnte, im Grunde nur drei Töne, aber unfassbar gut. Die

Weitere Kostenlose Bücher