Gott bewahre - Niven, J: Gott bewahre - The Second Coming
drängeln sich in einem Raum, der gerade mal halb so vielen Platz bietet. Stahlgitter und Mauern aus Keramikziegeln. Im Käfig riecht es nie gut, aber heute, dank der Hitze, spottet der Gestank jeglicher Beschreibung. Versuchen wir es trotzdem: Es riecht, als hätte sich jemand einen großen alten Fisch geschnappt, den Fisch mit schmutzigen Sportsocken, Anchovi-Paste und dampfenden menschlichen Exkrementen gefüllt, das Mistvieh in einen Heizkörper gestopft und dann die Heizung für mehrere Monate voll aufgedreht.
Inzwischen ist es Nacht, nicht gerade die beste Zeit, um sie hier drin, zwischen all den Monstern, Widerlingen und Mutanten zu verbringen - all diesen Menschen, die nicht zurechtkommen mit den Codes, ohne die die Welt da draußen nicht zurechtkommt. Aber Jesus, der zur Angst nicht fähig ist, der nur die Liebe kennt, fürchtet sich nicht. Er kauert sich schweigend in eine Ecke, wohl wissend, dass auch dieser Moment vorübergeht, dass - was immer auch als Nächstes geschieht-seine Geschichte noch längst nicht zu Ende ist. Ein großer, tätowierter Kerl beäugt ihn quer durch den überfüllten Käfig und verpasst daraufhin seinem Kumpel - dessen
rasierter Schädel im Halbdunkel glänzt und der sogar noch größer ist — einen kollegialen Stoß in die Rippen.
Oh Mann, denkt Jesus, wie oft hab ich schon in solchen Löchern gehockt.
Es stimmt. In seinen einunddreißig Jahren hier unten hatte er bereits in Frisco, Vegas und New Orleans im Knast gesessen. Er schwitzte hinter kalifornischen Gittern und fröstelte in den Zellen von Colorado. Körperverletzung, Ruhestörung, Widerstand gegen die Festnahme ... man hatte ihn jeder Straftat bezichtigt, die es hier unten für Leute gab, die es wagten, hin und wieder die Hand zu heben und »Das ist unrecht ...« zu sagen.
Er blickt hinauf zu dem winzigen vergitterten Fenster. Er kann keine Sterne sehen, bloß das grelle orangefarbene Natriumdampf-Leuchten einer Straßenlaterne, aber er weiß, dass da oben Sterne sind. Scheiße, Dad, denkt er, »führen« ... inspirieren «? Das sind coole Worte und so, wirklich cool. Aber weißt du, wie resistent viele dieser Leute gegen Inspiration sind? Trotzdem, und das ist das Komische, lassen sie sich gerne sagen, wo’s langgeht. Bloß was die Wahl ihrer Führer betrifft, haben sie in der Regel einen lausigen Geschmack. Damals in Denver, als er zu dieser Menge gesprochen hatte und diese Abtreibungsgegnerin ihm ins Gesicht spuckte und ihr Mann oder Freund oder was auch immer daraufhin auf ihn einschlug: Diese beiden waren es nicht, die am Ende im Knast landeten. »Ich hätte dir höchstpersönlich in den Arsch getreten«, hatte ihn der Bulle informiert, der ihn wegsperrte.
»Aber warum?«, wollte Jesus von ihm wissen.
Der Bulle zuckte mit den Schultern und sagte: »Ich bin Christ.«
Das war das Schwerste an seinem Job: die zu lieben, die selbst nur hassten.
Jesus seufzt und lehnt seinen Kopf gegen die warme Mauer. Kris hatte heute Geburtstag. Überraschungsparty auf dem Dach. Es gab noch einige Besorgungen zu machen: Hamburger,
Brötchen, Hotdog-Würstchen, Käse. All das Zeug, von dem er gehofft hatte, es hinterm Supermarkt zu ergattern. Aber was soll’s: Er hatte etwas Geld zur Seite gelegt, das würde reichen. Und Morgan würde den Alkohol beschaffen, er hatte genügend Schotter dafür, das ging also in Ordnung.
Kris und Morgan. Seine Band. Seine Jungs.
Seit ihrer Teenagerzeit, Ende der Neunziger in Cozad, hatten sie in verschiedenen Besetzungen zusammengespielt.
Ja, Cozad, im beschissenen Nebraska. Einwohnerzahl: 4 000. Danke dafür, Dad. Vergesst L. A. oder New York oder Seattle. Er hatte ihn nicht einmal in Omaha abgesetzt, wo die Band mit ein bisschen Glück vielleicht an dieser ganzen Saddle-Creek-Bright-Eyes-Chose partizipiert hätte. Sie hatten diverse Gitarristen verschlissen, bis sie sich schließlich entschlossen, beim klassischen Trio in der Tradition von Bands wie Hüsker Dü, Dinosaur Jr. oder Nirvana zu bleiben. »Halt es mit den Außenseitern.« Kein Wunder, dass Jesus ein Indie-Kid war. Vor etwa sieben Jahren hatten sie dann einen winzigen Plattenvertrag bekommen: Sie zogen nach New York, und kurz flammte etwas Hoffnung auf. Aber dann wollte sie niemand im Radio spielen, das Album ging völlig unter, sie tourten sich trotzdem den Arsch ab, spielten vor fünfzehn Leuten in Clubs wie dem Silver Dollar in Arizona, dem Botton Line in Delaware, dem Mission in Castle Falls. Und bald dämmerte ihnen, wie
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