Gott bewahre - Niven, J: Gott bewahre - The Second Coming
auf.
»Becky.«
»Äh, Becky. Ich müsste mal zur Toilette.«
»Aber denk dran«, ruft Becky ihm hinterher, »keine großen Geschäfte im Bus.«
Verlegen huscht Claude davon, seinen Rucksack fest umklammernd. »Süßes Kerlchen«, kichert Becky, als plötzlich ihr Jüngster vor ihr steht.
»Wer?«, will Miles wissen.
»Na du, mein Schatz!«, sagt Becky, nimmt ihn auf den Arm und kitzelt ihn.
Claude schließt die Tür der winzigen Toilettenkabine hinter sich ab und setzt sich auf die Klobrille. Im trübe flackernden Neonlicht öffnet er seinen Rucksack, um ihn zu durchwühlen.
Sein Ersatzhemd, zwei Paar Socken, ein T-Shirt, eine rostige Tabakdose, darin sein gesamtes Kapital von sechsundachtzig Dollar und etwas Kleingeld, ein Foto von seiner Mutter. Er starrt einen Augenblick auf das verblasste Bild in seiner Hand, auf dem sie verhalten lächelnd auf der Veranda sitzt, eine angeschlagene Emailletasse in der einen, eine Zigarette in der anderen Hand. Er legt es beiseite und wühlt weiter, bis zum Boden des Rucksacks.
Claude zieht eine Pistole heraus. Es ist eine alte Armeewaffe, eine .45er Colt Automatik, baugleich mit der, die Bob damals im Tunnel benutzt hat. Sie ist mit orangefarbenen Rostflecken überzogen, groß und schwer, seine schmale Hand umfasst nur knapp den geriffelten Holzgriff. Die Pistole ist älter als Claude selbst, sogar älter als sein Daddy. Laut Familienlegende hat Claudes Großvater, der Vater seiner Mutter, sie aus Korea mitgebracht, wo er einen Haufen Schlitzaugen mit ihr erschossen hat. Unbeholfen löst der Junge den Riegel, lässt das Magazin herausgleiten und fährt mit dem Finger über das blanke Messinggeschoss, das obenauf liegt, während sechs Freunde darunter im Verborgenen lauern.
Die Pistole ist alt, aber die Projektile sind brandneu. Die Waffe ist funktionstüchtig. Claude hat sich vergewissert: Er hat in den Wäldern geübt. Er schiebt das Magazin zurück in den Griff, lässt die Sicherung einrasten und packt vorsichtig seine Sachen wieder zusammen.
10
W ÄHREND SIE EINEN GROSSTEIL DER STRECKE »DOWN through Missouri« - wie es in »Route 66« heißt - auf der Bundesstraße zurücklegen, passieren sie die Städte Sikeston, Willow Springs und Mountain Grove, bis sie östlich von Springfield endlich auf die Interstate auffahren. Dankbar tritt Kris auf der breiten, auch mitten in der Nacht taghell erleuchteten Asphaltpiste aufs Gaspedal, darum bemüht, ordentlich Meilen zu schrubben, ohne den großen alten Bus dabei zu hart ranzunehmen, während aus den Boxen die Flying Burrito Brothers, Gram Parsons, Merle Haggard und Waylon Jennings ertönen. Allesamt sind sie vom Country-Virus infiziert, als sie dem grauen Band des Highway 44 nach Kansas hinein folgen, in der Nähe von Pittsburgh die Staatsgrenze überqueren, schließlich im Licht der anbrechenden Dämmerung das in der Kühle des Morgens glitzernde Wichita passieren und Morgan und JC auf der Rückbank immer und immer wieder »I am a lineman for the county« zur Gitarre singen.
Sie halten an Supermärkten oder Lebensmittelläden, schlafen im Bus, kaufen Brot, Fleischwurst, Schmelzkäse und Nudeln, aus denen sie auf der kleinen Herdplatte schlichte Mahlzeiten zubereiten, wenn sie Rast machen. Becky und Morgan wechseln sich mit dem Kochen ab, kreieren aus einfachsten Zutaten Saucen, um die Essenskasse zu schonen.
Und überall, wo sie rasten, begegnen sie Werbetafeln, die marktschreierisch verkünden:
AMERICAN POP STAR!
START DER NEUEN STAFFEL!
LABOR DAY, 20 UHR AUF ABN!
Einige der Tafeln sind riesig und zeigen die grinsenden Visagen der drei Juroren. Jesus fällt auf, dass dieser Stelfox-Typ darauf etwas abseits steht, die Arme übereinandergeschlagen. Und obwohl er lächelt, bleibt er doch jederzeit furchteinflößend, mit Augen, in denen ein Lächeln niemals angekommen ist. Andere Tafeln sind etwas kleiner, auf ihnen steht bloß:
APS!
LABOR DAY, 20 UHR, ABN
Aber all diese Plakate erinnern sie vor allem an eines: Sie müssen binnen vier Tagen L. A. erreichen, am 5. September um zehn Uhr früh. Sollten sie zu diesem Zeitpunkt nicht bei ABN sein, so besagt der Vertrag, »führt das zu sofortigem Ausschluss aus der Show«, darüber hinaus bewahrt sich der Sender das Recht, »die Partei oder Parteien für sämtliche anfallenden Kosten und jegliche Verdienst-und Einkommensausfälle, die aus dem Nichterscheinen des Kandidaten zum vertraglich festgelegten Zeitpunkt resultieren, regresspflichtig zu machen«.
Wie Morgan es
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