Gott bewahre - Niven, J: Gott bewahre - The Second Coming
verwirrt an. »Ähm, nein, Sir. Ich versuche nach New Mexico zu kommen. Nach Santa Fe? Ich hab gehört, von Nashville aus würde ein Bus dorthin fahren.«
»Wow, New Mexico?«, sagt Jesus, an die anderen gerichtet. »Der Junge muss in unsere Richtung.«
Morgan seufzt.
»Hör zu, Kumpel«, sagt Kris und schiebt sich vom Fahrersitz aus zwischen Jesus und Morgan, »kennst du den Weg von hier zur Staatsgrenze von Missouri?«
Der Junge nickt.
»Na dann: Willkommen an Bord«, krachend legt Kris einen Gang ein, während Jesus die Hand ausstreckt, um dem Jungen in den Bus zu helfen. »Wie heißt du, Kleiner?«, fragt er.
»Claude.«
»Schön, dich kennenzulernen, Claude. Ich bin Jesus.«
»Wie der aus der Bibel?«
»Genau so.«
»Also, Claude«, sagt Jesus, als sie sich an einem der vorderen Tische niederlassen, wo Claude nervös seinen Rucksack umklammert, während er in die vielen neuen Gesichter blickt: Miles und Danny, die lächelnd zu ihm aufblicken, der finster vor sich hin starrende Bob, Gus und Dotty, die freundlich grinsend an ihrer Flasche Pennerglück nuckeln, die sie zwischenzeitlich irgendwo ergattert haben, Morgan, der bereits den nächsten Joint dreht, und Becky, die sich gerade eine Dose Cola öffnet. »Du kommst hier aus der Gegend? «
»Jawohl, Sir.«
»JC. JC reicht völlig.«
»Wir haben eine Farm. Ein paar Meilen von hier.«
»Du bist Farmer?«, fragt Becky.
Claude nickt, womöglich beschämt. Es ist die Art, wie er sich hinter seinem langen Pony verkriecht, die den Eindruck vermittelt, dass der Junge den Umgang mit Menschen nicht gewohnt ist. Offenbar fühlt er sich, umgeben von all diesen fremden Leuten, wie auf dem Präsentierteller.
»Wow. Ich hab noch nie einen echten Farmerjungen kennengelernt! «, jauchzt Becky und treibt ihm, indem sie ihre langen nackten Beine übereinanderschlägt, zwar die Schamesröte ins Gesicht, entlockt Claude aber auch ein erstes zaghaftes Lächeln, bei dem zwei Reihen schlechter Zähne und ein süßes Grübchen zum Vorschein kommen.
»Also, was gibt’s in New Mexico, Kumpel?«, will Morgan wissen, zündet sich den Joint an und lässt die Glut mit einem kräftigen Zug aufflammen, worauf sich schwarze Ascheflocken davon lösen und in Richtung Decke tanzen.
»Ich hab ’nen Cousin da, der will mir ’n Job besorgen. In den Ölfeldern.«
»Die Farm läuft wohl nicht so gut, was?«, fragt JC.
Claude schüttelt den Kopf und starrt auf den Tisch. »Nein, Sir. Meine Ma sagt, wir könnten das Land genauso gut verkaufen, aber macht ja keiner mehr, is’ ja keiner mehr da, der Land kauft, heutzutage.« Jesus nickt, denkt an all die vielen Zu VERKAUFEN-Schilder, die er unterwegs gesehen hat. All diese Leute, deren Häuser zwangsvollstreckt wurden. Leute, denen man jahrelang »Kaufen, kaufen, kaufen« eingetrichtert hatte. Die immer nur hörten: »Damit kannst du gar nichts falsch machen. Sei dabei. Nur wer nicht dabei ist, verliert. « Und natürlich wollten alle dabei sein. So lange, bis sie schließlich für eine Handvoll Bretter und eine Trockenwand mitten am Arsch der Welt Hunderttausende von Dollars bezahlen sollten, die sie gar nicht besaßen. Und während das ganze beschissene Kartenhaus zusammenbrach, verkündeten die Typen, denen sie das alles zu verdanken hatten, im Fernsehen: »Tja, dafür ist allein der Markt verantwortlich. Damit hatten wir nicht gerechnet. Tut uns leid.« Jesus erinnert
sich an die Aufzugfahrt zur Hölle. Als Morgan Claude den Joint anbietet, blickt der Junge kurz verunsichert auf die Tüte und schüttelt dann den Kopf.
»Was hält denn deine Mom davon, dass du in den Ölfeldern arbeiten willst?«, fragt Jesus ihn.
»Solange ich genug Geld verdiene, um etwas nach Hause zu schicken ...«
»Und dein Dad?«, will Becky wissen.
Claude starrt bloß weiter auf den Tisch. »Hab ich seit Jahren nicht mehr gesehen.«
Einen Moment lang herrscht Stille, bevor Miles mit heiligem Ernst fragt: »Hast du einen eigenen Trecker?«
Alle lachen. Aus den Lautsprechern über ihren Köpfen erklingen The Velvet Underground.
»Stehst du auf Rock’n’Roll, Claude?«, fragt Jesus und greift, ohne die Antwort abzuwarten, über sich, um die Lautstärke aufzudrehen. Während sie mit sechzig Sachen geradewegs in die Sonne hineinfahren und die Felder von Kentucky lautlos ihren Staub schlucken, singt Lou Reed »Who Loves The Sun«. Jesus greift nach der Gitarre und stimmt mit Morgan in den Song ein.
»Entschuldigen Sie, Ma’am«, sagt Claude und steht
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