Gott bewahre - Niven, J: Gott bewahre - The Second Coming
Pianist mit offenem Mund zu ihm hinaufstarrend; Jesus schafft es irgendwie gerade noch rechtzeitig zum Mikro, um die erste Zeile anzustimmen: »In the day we sweat it out on the streets of a runaway American dream«, während sich das Publikum spontan erhebt, schreit und die Fäuste in die Luft reckt, die Menschen vor ihren Bildschirmen ihre Freunde und Familien rufen, dass sie kommen und sich diese rohe, unverfälschte Energie ansehen sollen, die aus dem Fernseher rockt, Herb Stutz voller Stolz, Darcy mit der Hand vor dem Mund; Steven Stelfox fühlt etwas Sonderbares, das er nicht recht begreift, wobei sich ihm die Haare im Nacken und an den Armen aufstellen; Jesus beendet den ersten Refrain gemeinsam mit dem Publikum, wetzt zurück, brät das Gitarrenriff wild in Richtung Orchester, dessen Musiker inzwischen größtenteils grinsen, weil er sie mitreißt und sie es viel schneller spielen als eigentlich vorgesehen, so dass Barrys Taktstock wie geisteskrank rotiert, weil ihm nichts anderes übrig bleibt, als mitzumachen; Jesus wendet sich den Kulissen zu und nickt, und der tosende Applaus nimmt sogar noch zu, als Garry auf die Bühne rennt, das Mikro vom Stativ reißt und singt: »Wendy let me in, I wanna be your friend ...«; Stelfox’ Augenbrauen zucken bis zum Haaransatz hoch, Jesus dämpft die Saiten seiner Gibson mit dem Handballen
seiner Rechten, zügelt die Nummer ein wenig, und das Orchester folgt ihm dabei, so dass nun Jesus dirigiert, nicht mehr Barry, Garrys Stimme schwebt klar und deutlich über allem anderen, als er seinen Kopf in den Nacken legt und schreit: »And strap your hands ’cross my engines!«; das Studiopublikum singt lauthals mit, so dass Garrys Mom und Brüder und Schwestern hinter der Bühne vor Stolz fast platzen, die Miene von Jennifer Benz’ Vater hinter ihnen verformt sich zu einer finsteren Maske des Zorns, Jesus ist schon jetzt schweißnass, als er sich die Gitarre auf den Rücken schwingt und für den Mittelteil das Mikro von Garry entgegennimmt und ihm die Kameras folgen, als er auf die Knie fällt und die Zeilen über die Mädchen spricht, die ihr Haar im Rückspiegel kämmen, und die Jungs, die unbedingt hart aussehen wollen, das Timing ist perfekt, als er »in an everlasting kiss« singt, urplötzlich das Mikro wieder aufs Stativ steckt und die Gitarre nimmt, während der Instrumentalteil beginnt, der Junge aus dem Orchester dieses wilde Bass-Solo genau richtig hinbekommt, Jesus und Garry gemeinsam mitten auf der Bühne tanzen, wie Clarence und der Boss, Garry ein Tamburin schlägt, das er aufgesammelt hat, beide Gesichter selig vor reiner Freude, verloren in der Musik, und dann das Break, Töne fallen, wandern auf den Griffbrettern abwärts, bis sie das offene E erreichen, Jesus auf den Flügel springt, scheinbar endlos das offene E schrammelt, es im siebten Bund anschlägt, bis er wieder »ONE, TWO, THREE, FOUR« schreit und grätschend vom Klavier springt, derweil Garry gerade rechtzeitig zum Mikro hechtet, um »The high-ways jammed with broken heroes on a last chance power drive« zu singen, Jesus schafft es so eben noch, sich an ihn zu lehnen und die nächste Zeile zu übernehmen - »Everybody’s out on the road tonight but there’s no place left to hide« –, und dann wechseln sie sich bis zum Ende ab, das Orchester spielt, als ginge es ums nackte Überleben, Garry mit dem Arm um Jesus’ Schulter, während sie gemeinsam
schreien: »TRAMPS LIKE US - BABY WE WERE BORN TO RUN«; ganz am Ende, beide durchgeschwitzt im Licht der Scheinwerfer, Jesus hält die Gitarre hoch in die Luft, als er den Schlussakkord anschlägt, sich umdreht, den Drummer ansieht, bevor er anderthalb Meter hoch in die Luft springt und genau in dem Moment landet, als sie den letzten Ton raushauen und das versammelte Studiopublikum und Millionen Menschen zu Hause vor den Fernsehgeräten komplett ausrasten.
Nur vier Leute in Amerika können dieses Gefühl nicht teilen: die Familie Benz und Steven Stelfox.
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W AS ZUM TEUFEL HAST DU DIR DABEI GEDACHT?!«
Sie sind im Green Room, ein Stück abseits der Hauptbühne, und die Leute draußen auf dem Flur— die Familie Benz, die Familie MacDonald, Becky, Morgan und Kris, die von einem Pulk von Assistenten auf Distanz gehalten werden - hören von drinnen dumpfes Gebrüll.
»DAS IST MEINE SHOW! MEINE BESCHISSENE SHOW! DU KLEINER WICHSER! UND SCHEISSE NOCHMAL - STEH AUF, WENN ICH MIT DIR REDE!«
Die Show macht eine zweistündige Pause, um Amerika abstimmen
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