Gott bewahre - Niven, J: Gott bewahre - The Second Coming
dem Schulabschluss ein Formular ausfüllen sollte, damit sich jemand überlegen konnte, für welchen Job er am besten geeignet sei. »Automechaniker«, das hatten sie ihm damals geraten. Garry hasste Autos. Aber wenn JC da so vor einem stand, einen Fuß auf seinen kleinen Verstärker gestützt, und einen angrinste, als könnte einem nie im Leben irgendwas Schlimmes passieren, solange man sich nur an ihn hielt ... dann glaubte Garry es auch.
»Scheiße. Okay, Mann.«
»Guter Junge. Welche Strophe?« Jesus reicht ihm ein Paar handgeschriebene Textblätter.
»Die zweite?«
»Das dachte ich auch«, sagt Jesus und dreht die Lautstärke an seiner Gitarre mit dem rechten kleinen Finger auf. »Okay, gehen wir es schnell mal durch.«
Garry begann den Abend mit einer grässlichen Version von Billy Joels »An Innocent Man«, einem Song, den Darcy ausgewählt hatte, weil dieser angeblich repräsentativ für Garrys Auftreten und seinen Status als Underdog in der Show sei — der jedoch, wie Morgan erklärte, »für weiter nichts repräsentativ ist als für einen Song, der echt der allerletzte Scheißdreck ist«. Jennifer Benz glitzert in ihrem Paillettenkleid im Licht der Scheinwerfer und gibt in diesem Moment gerade ein bis zur Gigantomanie aufgeblasenes Arrangement von »Don’t Stop Believing« zum Besten. Garry und Jesus sehen hinter der Bühne zu, an die hundert Millionen Menschen sitzen vor den Fernsehern: so ziemlich die größte Zahl an Zuschauern in der jüngeren Fernsehgeschichte Amerikas.
Heute ist Mottoshow. Vor einigen Wochen hatte es das schon einmal gegeben - »Motown« war damals das Thema, doch der heutige Abend ist weiter gefasst: »Classic American Artists«. Nun, amerikanische Klassiker nach Steven Stelfox’ Definition. Stirnrunzelnd hatte Jesus seinen Blick über die kurze Liste schweifen lassen, und seine Stimme wechselte
zwischen Ungläubigkeit und Empörung - »Michael Jackson... Billy Joel ... Journey? Willst du mich verarschen, Herb?« –, bis er bei einem der allerletzten Namen zu nicken begann. Auf diesen Künstler konnte er sich einlassen. »Aber es darf keine obskure Nummer von irgendeinem frühen Album sein«, hatte Herb ihm in Erinnerung gerufen.
Benz verbeugt sich, während sich die Streicher zum Crescendo aufschwingen und die Zuschauer im Studio applaudieren, kreischen und pfeifen.
»Was sagt man dazu?«, ruft Kevin Leary, als er auf die Bühne hüpft. Benz stolziert an Jesus und Garry vorbei, mit einem leichten Schweißfilm auf der Stirn und einem »Toppt das mal«-Blick, direkt in die Arme ihrer Eltern. »Die Bridge war etwas wackelig«, hört Jesus ihren Vater sagen, dann richtet er seine Aufmerksamkeit wieder auf Leary, der gerade verkündet: »... er hat einiges an Kontroversen in diese Show gebracht, aber viele von Ihnen müssen ihn wohl lieben, denn er ist noch immer da ... hier kommt ...«
»Wir sehen uns auf der anderen Seite«, raunt Jesus Garry zu und klopft ihm kurz auf die Schulter, bevor er ins Scheinwerferlicht und hinaus in den Applaus sprintet.
»Und was hast du uns heute mitgebracht?« Leary legt seinen Arm um Jesus, als wären sie gute Freunde.
»Nun, Kevin, ich denke, man könnte wohl sagen, es ist die, äh, die inoffizielle amerikanische Nationalhymne ...«
»Geheimnisvoll wie eh und je. Ladies and Gentlemen, Applaus für Je...«
Noch bevor Leary den Satz zu Ende gesprochen und seinen Arm von JCs Schulter genommen hat, rennt dieser schon völlig aufgekratzt zum Orchester. Er freut sich riesig, diese Nummer mit der Hausband zu spielen. Denn ausnahmsweise verträgt der Song, braucht der Song förmlich ein großes Arrangement - drei Gitarren, Klavier, Orgel und alles vom Glockenspiel bis zur gottverdammten Triangel. Er ist dermaßen aufgedreht, dass er auf das Schlagzeugpodest
springt und dem sprachlosen, wütenden Barry zuvorkommt, der einfach nur mit erhobenem Taktstock dasteht, als Jesus dem Drummer »ONE, TWO, THREE, FOUR!« ins Gesicht brüllt, was das gesamte Orchester mitbekommt und auf die »VIER!« voll einsteigt - ein gewaltiges Spektakel. Gleichzeitig twangt Jesus über diese massive Klangwand hinweg ein Duane-Eddy-Gitarrenriff, dann dreht er sich um und springt drei Meter hoch, grätscht über den Kopf des Pianisten hinweg, während das Publikum kreischt und im Fotograben die Blitzlichter aufflackern und die Kameras jenes Bild festhalten, das am nächsten Tag in jeder einzelnen Tageszeitung erscheinen wird - Jesus grätschend mitten in der Luft, der
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