Gott geweiht
noch empfindsamen Teile seiner Seele, verletzte sie, machte sie taub vor Schmerz. Aber dann hörte er auf, sich gegen sie zu wehren, nahm sie an, sodass sie ihm ein treuer Freund und Begleiter wurde. Er drehte sie mal hierhin, mal dorthin, fasziniert von ihrer glänzenden Oberfläche. Voller Bewunderung nahm er wahr, wie sie alles Licht um sich herum aufsaugte, ihn unwiderstehlich tief in ihre Dunkelheit zog, wo er sich ihr ganz und gar ergeben konnte.
So lernte er nach und nach, in seinem Zorn nicht einen Feind, sondern einen Verbündeten zu sehen. Der Zorn konnte ihm viel beibringen, und Samuel war ein begieriger Schüler. Die Welt war ein rauer Ort voller Enttäuschungen. Aber er konnte sich immer in sich selbst zurückziehen, wo sein Zorn verlässlich auf ihn wartete, ein wertvoller Talisman, funkelnd in der Schwärze seiner Seele.
Unter der Parkbank zappelte eine Fliege in einem Spinnennetz. Als er es bemerkte, lächelte er und sah zu, wie sich die Spinne ihrer hübsch verpackten, hilflos strampelnden Beute in der Todesfalle näherte. Wenn sie die Fliege fraß, tat die Spinne nur das, was ihre Aufgabe war. Und auch er tat nur das, was seine Aufgabe war, wenn er seine nächtlichen Missionen erfüllte. Er wusste, dass eine Spinne selbst die kleinste Bewegung in ihrem Netz spüren konnte – ein Signal, dass Nahrung eingetroffen war. Dann kam die Spinne ihrem Opfer vorsichtig näher, um ihr Gift zu injizieren. Auch er spürte eine Bewegung in seinem Netz, und er würde tun, was immer nötig war, damit sein Opfer ihm nicht entkam.
KAPITEL 49
Am nächsten Tag saßen Lee, Nelson, Chuck und die beiden Detectives Butts und Florette inmitten einer Menge von leer getrunkenen Kaffeebechern in Chuck Mortons Büro. Sie stellten nun offiziell die »Eliteeinheit« dar, die der Bürgermeister der Stadt versprochen hatte. Außerdem standen Butts und Florette bei Bedarf noch einige Streifenpolizisten zur Verfügung.
Nelson hatte endlich auf Chucks Anrufe reagiert, war jedoch ohne ein Wort der Erklärung oder Entschuldigung erschienen. Er sah müde und ausgemergelt aus, aber immerhin nüchtern.
»Was ist mit diesem Chat-Account, den der Mörder benutzt hat?«, erkundigte er sich. »Kann man den auf irgendwen zurückverfolgen?«
»Haben wir versucht«, erklärte Chuck. »Leider ist das eine Sackgasse. Die Wunderkinder von der Abteilung für Computerkriminalität konnten bloß feststellen, dass er überall falsche Angaben gemacht und seine IP geschickt verschleiert hat.«
»Der weiß ganz genau, was er tut«, bemerkte Florette nachdenklich. Er war wie üblich elegant gekleidet und trug heute eine graue Seidenkrawatte zu einem blau-weiß gestreiften Hemd.
»Scheint so. Wie steht’s denn mit dem Chat zwischen Lee und diesem Typen? Hat sich das mal jemand angesehen?«, fragte Chuck in die Runde.
»Ja, ich«, meldete sich Nelson.
»Und, irgendwas Verwertbares gefunden?«
»Nichts umwerfend Neues, nein. Er ist gebildet und weiß sich auszudrücken, aber das wussten wir schon. Und dass er Nerven hat, ist auch keine Überraschung.«
»Das kann man wohl sagen«, stimmte Florette zu. »Selbst wenn er sich gut mit Computern auskennt, muss ihm doch klar sein, wie riskant es ist, auf diese Art Kontakt aufzunehmen.«
»Unsere Computerspezialisten haben nur ungern zugegeben, dass der Typ sie geleimt hat. Die wollten mir nicht mal sagen, wie er das geschafft hat«, erklärte Chuck. »Meinten, diese Information wäre für uns nicht relevant.«
»Kann mir vorstellen, dass die nicht gerade scharf darauf sind, dass irgendwer erfährt, wie man ihre Suchprogramme austricksen kann«, warf Florette ein.
Chuck zeigte auf die Reihe der Tatortfotos, die gut verteilt an der neu aufgestellten Pinnwand hingen.
»Was ist mit den Stellen in der Kirche, an denen Sophias Körperteile abgelegt wurden?«, erkundigte er sich. »Hat jemand dazu eine Idee?«
Es wurde still im Raum, während die Männer die grausigen Fotos studierten. Dann sagte Nelson: »Ich weiß, was das bedeuten soll. Es ist so offensichtlich – warum bin ich da nicht früher drauf gekommen?«
»Und, wollen Sie Ihre Erkenntnis auch mit uns teilen?«, fragte Chuck. Er klang ziemlich genervt, und Lee vermutete, dass er Nelson sein unentschuldigtes Abtauchen noch nicht verziehen hatte.
»Das ist die Via Dolorosa – der Kreuzweg«, gab Nelson zurück.
»Der was?«, fragte Butts.
»Es gibt vierzehn Stationen auf dem sogenannten Kreuzweg. Jede Station repräsentiert eine
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