Gott geweiht
Worte nur bruchstückhaft bei ihm ankamen. »Eddie …, U -Bahn …, auf der Stelle tot …«
Nein, nicht Eddie …
Er wählte die Nummer, die auf dem Display angezeigt wurde. Diesel meldete sich nach dem ersten Klingeln.
Eine knappe Stunde später saß Lee im Shandon Star auf der Eighth Avenue, einen halben Liter Saranac Amber vor sich, und wartete auf Diesel and Rhino. Der dunkle, malzige Geschmack des Bieres erinnerte ihn an Eddie. Vielleicht hatten den Freund seine Dämonen eingeholt, die ihn seit dem Krieg verfolgten. Vielleicht waren ihm die Albträume von napalmverbrannten Leichen ein für alle Mal zu viel geworden, und er hatte auf den kalten Schienen der U -Bahn endlich Ruhe finden wollen. Eddies kumpelhafte Geschwätzigkeit war nur eine Maske, hinter der er seinen Schmerz verbarg. Wenn Eddie ihm von den Schrecken des Krieges erzählt hatte, kam es Lee immer so vor, als würde er manche Erlebnisse auslassen. Als hätte er in Vietnam Dinge sehen müssen, an die er sich selbst nach so langer Zeit auf keinen Fall mehr erinnern wollte.
Aber Selbstmord? Je länger Lee darüber nachdachte, desto weniger glaubte er es. Da steckte mehr dahinter.
Als Diesel und Rhino eintrafen, waren Diesels Augen gerötet. Rhino trug eine dunkle Sonnenbrille. Seine weiße Haut wirkte aufgedunsen im wenigen Licht, das durch die Fenster in das Pub drang. Die Männer setzten sich wortlos zu Lee an den Tisch. Beide trugen dunkle Jeans und saubere weiße T -Shirts unter ihren schwarzen Lederjacken.
»Entschuldigung«, sagte Diesel schließlich. »Ich musste noch ein paar Leute anrufen – Sie wissen schon, um es ihnen zu sagen …«
»Was genau ist passiert?«, fragte Lee. Ihr vorgehendes Gespräch war nur sehr kurz gewesen und hatte sich auf das Wann und Wie konzentriert, nicht auf die unbequeme Frage des Warums.
Diesel schüttelte den Kopf. »Das weiß ich jetzt noch nicht. Es ist ja erst ein paar Stunden her. Sie haben noch nicht mal den Namen an die Presse freigegeben.«
»Wie haben Sie es herausgefunden?«
Diesel lehnte sich zurück. »Ich hab so hier und da meine Kontakte.«
Wie gewöhnlich sagte Rhino nichts. Er nahm die Sonnenbrille ab, putzte sorgfältig die Gläser und steckte sie dann in die Jackentasche. Seine Hände waren überraschend zart für einen solchen Kraftprotz. Lee sah ihm in die Augen – sie waren ebenfalls gerötet.
»Wollen Sie etwas trinken?«, fragte Lee die beiden Männer.
»Die Runde geht auf mich«, verkündete Diesel. Rhino stand auf und ging zur Bar.
Lee bedankte sich. Er konnte ein zweites Bier gebrauchen.
»Eddie ist noch nicht mal gerne U -Bahn gefahren«, nahm Diesel das Gespräch wieder auf. »Hat immer erzählt, wie sehr er es hasste, auf dieser gelben Sicherheitsmarkierung zu stehen.«
Lee beugte sich vor. »Glauben Sie, dass er gesprungen ist?«
»Auf keinen Fall. Ich weiß, dass Eddie seine Tiefs hatte – seine Stimmungsschwankungen waren kein Geheimnis –, aber zurzeit war er richtig gut drauf.« Diesel nahm sich einen Bierdeckel und fuhr mit den Fingerspitzen dessen Kanten ab. »Könnte natürlich auch ein Unfall gewesen sein. Er hatte grade eine Menge Kohle gewonnen, wer weiß, vielleicht war er deswegen abgelenkt, hat nicht aufgepasst und war mit den Gedanken woanders.«
»Aber Sie haben gesagt, dass er es hasste, auf der Sicherheitsmarkierung zu stehen. Was sollte er überhaupt so nah bei den Gleisen gemacht haben?«
»Das habe ich mich auch schon gefragt.«
Rhino kam mit drei Gläsern sehr kalten Biers zurück. Lee trank sein Glas mit einem Schluck zur Hälfte leer.
Dann sprach Rhino zum ersten Mal, seit Lee ihn kennengelernt hatte.
»Ich bin der Meinung, dass ihn jemand umgebracht hat.« Seine Stimme klang seltsam dünn und hoch, so wie die höheren Lagen eines Holzblasinstrumentes – einer Oboe oder einer Klarinette.
»Sie glauben, jemand hat ihn auf die Gleise gestoßen?«
Rhinos helle Augen verengten sich. »Auf keinen Fall fällt so ein Typ wie Eddie einfach vom Bahnsteig – oder springt vor einen Zug. Das passt nicht zu ihm.«
Lee wandte sich an Diesel. »Sehen Sie das auch so?«
Diesel nickte langsam mit dem Kopf. »Alles andere ergibt einfach keinen Sinn.« Er nahm einen tiefen Schluck und trocknete sich mit eleganter Geste den Mund mit einer Papierserviette ab.
»Hatte Eddie irgendwelche Feinde, die – ich meine, er war ja ein Spieler, da wäre das doch denkbar, oder?«
»Schon, aber er hatte keine Schulden bei seinem Buchmacher und hatte auch
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