Gott geweiht
Fährte zu verwischen, damit wir kein geografisches Profiling einsetzen können«, überlegte Lee laut.
»Das würde ein bemerkenswertes Wissen über Ermittlungstechniken voraussetzen«, hielt Nelson dagegen.
»Was ist mit der Person, die auf dich geschossen hat?«, fragte Chuck Lee. »Ist es nicht möglich, dass –«
»Was?«, entfuhr es Nelson, und er wandte sich zu Lee um. »Davon hast du mir ja gar nichts erzählt.«
Lee schilderte ihm den Zwischenfall an der Third Avenue. »Es muss nicht zwangsläufig ein Zusammenhang bestehen«, fügte er hinzu. »Ich sehe diesen Typen einfach nicht als Schützen.«
»Ja, das würde das Täterprofil wirklich auf den Kopf stellen«, pflichtete Nelson ihm bei.
»Was haben Sie sonst noch?«, fragte Butts und stand auf, um sich die stämmigen kurzen Beine zu vertreten. »Gibt es denn gar keine Spur ?«
»Er will in keine spezielle Kategorie von Mördern so recht hineinpassen«, sagte Lee, »was es schwerer macht, Schlüsse über ihn zu ziehen.«
»Aber das ist nicht ungewöhnlich«, sagte Nelson.
»Ich würde einen Sexualmörder, der noch Jungfrau ist, als ziemlich ungewöhnlich bezeichnen«, murrte Butts und ließ sich wieder auf den Stuhl plumpsen.
»Das ist ein weiteres Teil des Puzzles, stimmt’s?«, bemerkte Florette und rückte seine perfekt gestärkten Manschetten zurecht.
»Stimmt«, sagte Nelson. »Bei einem Burschen wie diesem verschmelzen Sex und Gewalt irgendwann in der Vorstellung miteinander –«
»– und mit Religion«, fügte Lee hinzu.
»Da gibt es noch einen anderen Aspekt in Bezug auf die Altäre«, gab Florette zu bedenken. »Paare heiraten vor dem Altar.«
»Guter Punkt!«, pflichtete Butts bei. Er zielte mit seinem leeren Kaffeebecher auf den Papierkorb, doch der Wurf ging daneben. Mit einem Stöhnen stemmte er seinen massigen Körper vom Stuhl, hob den Pappbecher auf und entsorgte ihn.
»Ja«, bestätigte Lee. »Ich denke, es besteht wenig Zweifel daran, dass er Katholik ist, da beide Leichen in katholischen Kirchen gefunden wurden.«
»Da stimme ich zu«, sagte Nelson, »aber ich bin mir nicht so sicher, ob ich mich der Jungfrauentheorie anschließe. Er könnte in sexueller Hinsicht einfach nur funktionsgestört sein – impotent vielleicht.«
»Was kannst du uns sonst noch über ihn sagen?«, fragte Chuck.
»Er gehört sehr wahrscheinlich der gleichen sozioökonomischen Schicht an wie seine Opfer, ein Katholik aus der Mittelschicht – was einer der Gründe ist, weshalb sie sich in seiner Gegenwart nicht bedroht fühlen«, sagte Lee.
»Aber er ist Jungfrau, ja?«, hakte Butts nach. »Wie alt ist der Typ – dreizehn?«
»Tja, er ist offensichtlich emotional zurückgeblieben, aber ich würde ihn auf Anfang bis Mitte zwanzig schätzen«, erwiderte Lee, »im ungefähren Alter seiner Opfer.«
»Stimmt«, pflichtete Nelson bei. »Und er lebt bei –«
»Bei seiner Mutter oder einer anderen Verwandten«, beendete Lee den Satz für ihn.
Chuck sah zu Nelson, der unter den Kaffeebechern auf dem Schreibtisch nach einem suchte, der noch Kaffee enthielt.
»Natürlich könnte sein tatsächliches Alter höher sein«, überlegte Lee laut. »Wenn ein Täter zum Beispiel Zeit im Gefängnis verbringt, dann kann er nach einer Anzahl von Jahren im gleichen emotionalen Alter dort herauskommen, in dem er eingesperrt wurde.«
»Du meinst wie Arthur Shawcross«, warf Nelson ein.
»Ganz genau.«
Florette lehnte sich stirnrunzelnd auf seinem Stuhl zurück. »Der Genesee-River-Würger?«
»Genau«, bestätigte Lee. »Er wurde fünfzehn Jahre wegen Mordes eingesperrt, und als er aus dem Gefängnis entlassen wurde, machte er sich gleich wieder ans Morden – das Maß an Reife, das er dabei zeigte, war ziemlich genau dasselbe wie zum Zeitpunkt, als er in den Knast gewandert war.«
»Oh Mann«, sagte Butts. »Dann könnte es also doch sein, dass wir nach einem Kerl mittleren Alters suchen?«
»Möglich ist es«, gestand Lee.
»Shawcross war allerdings ziemlich dumm«, bemerkte Nelson. »Dieser Kerl hier ist bedeutend schlauer.«
»Wie steht es mit seiner Methode?«, fragte Chuck. »Erwürgen ist eine sehr intime und persönliche Art, jemanden umzubringen. Ich meine, man kann Wut erkennen, aber sehr kontrollierte Wut.«
»Ich weiß, es klingt ein bisschen weit hergeholt«, sagte Lee, »aber ich glaube, dass die Art und Weise, wie er seine Opfer erwürgt, uns einen Hinweis gibt.«
»Dass er es langsam tut, meinen Sie?«, fragte Butts.
»Ja, durchaus.
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