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Gott geweiht

Gott geweiht

Titel: Gott geweiht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.E. Lawrence
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sich der Traube von Journalisten näherte, trat ein kleiner, langsam kahl werdender Mann vor.
    »Entschuldigen Sie, aber gehören Sie nicht zum NYPD ?«
    Lee starrte ihn einen Moment lang verständnislos an.
    »Also, ich –«
    »Ja, Sie sind der doch Profiler, nicht? Der, dessen Schwester verschwunden ist?«, sagte der Mann. »Mein Kumpel hat vor ein, zwei Jahren einen Artikel über Sie geschrieben. Ich erkenne Sie anhand des Fotos wieder.«
    Lee stöhnte auf. Als er bei der Polizei angefangen hatte, war er das widerstrebende Thema einer »Wahre Geschichten«-Reportage geworden – jemand in der Lokalredaktion hatte Wind von seiner Einstellung bekommen, sich an das Verschwinden seiner Schwester erinnert und beschlossen, dass das eine gute Story abgeben würde. Es gab eine gute Story ab, aber Lee hatten die Aufmerksamkeit und die Publicity, die es ihm einbrachte, nicht gefallen.
    »Arbeiten Sie an diesem Fall?«, ließ der Mann nicht locker und setzte, ohne auf eine Antwort zu warten, nach: »Können Sie uns schon etwas sagen?«
    Die anderen witterten Blut, drängelten sich um ihn und riefen ihm Fragen zu:
    »Wie laufen die Ermittlungen?«
    »Schon irgendwelche Spuren?«
    »Was wissen Sie über den Schlitzer?«
    »Wird er weitermorden, bis er geschnappt ist?«
    »Es tut mir leid«, erklärte Lee, »aber ich kann Ihnen nichts über laufende Ermittlungen sagen.« Die Standardantwort, und er nahm nicht an, dass sie es schlucken würden.
    Sie taten es nicht.
    Er bahnte sich einen Weg durch die Reporter, doch sie folgten ihm, klebten an ihm wie Blutegel in schwarzen Regenmänteln. Er hastete zur Rückseite der Kirche, kam gerade rechtzeitig um die Ecke, um ein altes Auto mit dunkler Farbe um die Biegung der Straße sausen zu sehen. Er konnte das Nummernschild nicht ausmachen, und er kannte sich mit Autos nicht genug aus, um das Modell zu erkennen. Es war kein neuer Wagen, und er war sich ziemlich sicher, dass es eine amerikanische Marke war, aber mehr konnte er nicht sehen.
    Die Reporter drängten sich abermals um ihn und überhäuften ihn mit Fragen.
    »Glauben Sie, dass er wieder zuschlagen wird?«
    »Sind Sie dem Täter schon auf der Spur?«
    »Wer gehört sonst noch zu der Sonderkommission?«
    »Werden Sie das FBI hinzuziehen?«
    Als die Journalisten erkannten, dass sie von Lee nichts erfahren würden, trollten sie sich einer nach dem anderen, steckten ihre Notizbücher ein, um sich zu einem Mittagessen auf Spesen in eines der örtlichen Restaurants zu begeben.
    Na gut, wenn er es war, dann weiß ich jetzt zumindest, dass er ein Auto besitzt , überlegte Lee. Doch er war sich schon recht sicher gewesen. Alles an diesem Mann passte auf das Täterprofil – sogar der Inhalator. Lee schlug seinen Mantelkragen hoch und vergrub seine Hände tief in den Taschen. Der Regen war inzwischen stärker geworden, kalte kleine Nadeln, die gegen seine nackte Haut stachen. Er marschierte zügig Richtung Bahnhof, als der Himmel seine Schleusen öffnete und eine Flut auf die Erde ergoss, die ausgereicht hätte, um alle Verfehlungen einer ganzen Generation von Sündern wegzuwaschen.

KAPITEL 29

    Später, wieder daheim in seiner Wohnung, schaute Lee aus dem Fenster auf den sacht fallenden Regen. Er dachte an sein Telefongespräch mit Chuck zurück, der von Lees Bericht über den Besuch der Beerdigung alles andere als begeistert gewesen war.
    »Verfluchte Reporter – die sind wie die Heuschrecken! Ich kann einfach nicht glauben, dass du nicht einmal das Nummernschild erkennen konntest.«
    Lee fiel darauf nichts ein. Ihm war nie ganz wohl dabei, die Presse zu verteufeln, aber er musste gestehen, dass sie ihm in die Quere gekommen waren.
    »Was meinst du, woher er den Presseausweis hatte? Hat er sich einfach einen gefälscht?«
    »Vermutlich.«
    Als Lee gestand, dass er den Namen auf dem Presseausweis nicht hatte lesen können, regte Chuck sich noch mehr auf.
    »War wahrscheinlich sowieso nicht sein richtiger«, beschwichtigte Lee.
    Für alle Fälle hatte er sich mit dem Polizeizeichner zusammengesetzt. Lee hatte sich geschworen, dass er das schmale, asketische Gesicht mit den auffälligen gelben Augen, den hohen Wangenknochen und den wohlgeformten Lippen nie vergessen würde. Der Mann hatte wie ein verlorener kleiner Junge ausgesehen, bis er lächelte – da wirkte er plötzlich wie ein hungriger Wolf. Das Phantombild gelang recht gut, auch wenn es nicht die kranke Persönlichkeit wiedergeben konnte, die Lee hinter jenem Lächeln erahnte.

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