Gott hat hohe Nebenkosten: Wer wirklich für die Kirchen zahlt
gegen ihre eigenen Mitarbeiter vor dem Arbeitsgericht Bielefeld. Am 3. März 2010 verurteilte das Arbeitsgericht die Gewerkschaft ver. di zur Unterlassung von Streikmaßnahmen gegenüber der evangelischen Kirche, dem diakonischen Werk und einzelner Einrichtungen.
Das Verfahren ging in die nächste Instanz. Das Landesarbeitsgericht entschied anders und wies die Klage der Kirche ab. Die Begründung ist bemerkenswert. Bei der Abwägung zwischen dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und dem nach Artikel 9 Absatz 3 im Grundgesetz garantierten Streikrecht sei zu berücksichtigen, dass in kirchlichen Einrichtungen auch Arbeitnehmer beschäftigt werden, deren Tätigkeit nicht zum in christlicher Überzeugung geleisteten »Dienst am Nächsten« zähle. Erkennbar werde dies unter anderem daran, dass bestimmte Aufgabenbereiche mit Hilfsfunktionen – wie die Krankenhausküche oder der Reinigungsdienst – ausgegliedert würden. Daher sei ein Ausschluss des Streikrechts in kirchlichen Einrichtungen unverhältnismäßig. Darüber hinaus begründeten die Richter ihr Urteil damit, dass auch ein besonderes kirchliches Arbeitsrecht in Form des Dritten Weges ein Streikrecht nicht kategorisch ausschließen dürfe. Da zwei Drittel der Arbeitnehmervertreter der Arbeitsrechtlichen Kommission im kirchlichen Dienst tätig sein müssen, könnten hauptamtliche Gewerkschaftsvertreter keinen maßgeblichen Einfluss ausüben.
Ob das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen das Streikrecht überhaupt einschränken darf, soll nun vor dem Bundesarbeitsgericht geklärt werden. Das Urteil wird am 20. November 2012 erwartet.
Eins will Professor Wohlfahrt noch zu alldem hinzufügen: »Wenn Diakonievertreter sagen, ›der Markt‹ mache Lohnabsenkungen erforderlich, wie soll dann die betroffene Seite, wie sollen die Arbeitnehmer ihre Interessen durchsetzen? Sollen sie auf das Wohlwollen der Dienstgeber vertrauen? Wenn die Diakonie sich am Markt behaupten will, kann sie nicht einerseits die Besonderheiten einer Dienstgemeinschaft für sich geltend machen und andererseits ›Marktgesetzlichkeiten‹ als Bedingung ihres Handelns angeben.«
»Im Moment sind wir alle verängstigt«, fasst Schwester Sigrid Herich zusammen und André Kucza fällt ihr ins Wort: »Dass ein kirchlicher Arbeitgeber sich einfach herausnimmt zu sagen: ›Meine Beschäftigten streiken nicht‹! Wir im öffentlichen Dienst haben schon seit eh und je unsere Gewerkschaft. Ich bin damit groß geworden und es gehört einfach dazu, dass man als Gemeinschaft auf die Straße geht und dann nicht alleine dasteht. Das wird einem genommen.« Schwester Sigrid nimmt den Faden auf: »Viele Mitarbeiter bei uns sind konfessionslos oder haben aus irgendwelchen Gründen die Kirche verlassen. Deshalb haben viele Kollegen Angst, dass sie ins neue Klinikum nicht mitgenommen werden. Die treten jetzt wieder in die Kirche ein. Das ist doch unglaublich.« André Kucza ist einer dieser Kollegen. Als er hörte, wer der neue Arbeitgeber ist, trat er in die evangelischen Kirche ein. »Das ist das Schlimme«, sagt er, »die Freiheit zu verlieren. Die Angst treibt einen dahin, nicht die Überzeugung. Wie kann es so ein Konstrukt überhaupt noch geben?« Er wisse, dass die private Lebensführung bei der evangelischen Kirche nicht so eine große Rolle spiele wie bei den Katholiken, er sei aber auch bei diesem Aspekt beunruhigt. »Wenn ich an mein Privatleben denke, und das kann ich offen sagen: Ich weiß nicht, wie ein kirchlicher Arbeitgeber auf das Thema der Homosexualität reagiert. Wie verhält sich die evangelische Kirche dazu? Ist das ein Auswahlkriterium? Vielleicht kann ich deshalb nicht die Leitung der neuen Notaufnahme übernehmen.« André Kucza hat erst vor wenigen Wochen geheiratet. Auf einem Sideboard, neben dem Tisch, stehen noch die Glückwunschkarten. Sein Mann hat eine Ausbildung in einem katholischen Altenheim gemacht. »Da durfte ich nie auftauchen, nie präsent sein. Die ganze Ausbildungszeit über war ich die unbekannte ›Freundin‹, die niemand von seinen Kollegen je getroffen hat.« Eins möchte auch Schwester Sigrid noch loswerden, bevor sie nach Hause geht: »Ich habe mir damals nicht ohne Grund eine Stelle bei einem nicht konfessionellen Arbeitgeber gesucht, im öffentlichen Dienst. Ich fühle mich als freie Schwester und ich möchte eigentlich eine freie Schwester bleiben.«
Da sei wohl noch einiges an Kommunikation notwendig, sagen die beiden
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