Gott ist tot
Kofferraum, der mit einem Plopp aufsprang, hievte eine bis zum Rand mit Andenken gefüllte Einkaufstüte heraus und schlug den Deckel wieder zu.
Links vom Bootssteg, unter ein paar schlanken Weißbirken, war unerlaubterweise eine Feuerstelle angelegt, eingefasst von rußgeschwärzten, in einem Halbkreis aufeinandergeschichteten Steinen. In der Grube lagen die Überreste eines Feuers, schwer zu sagen, wie alt - ein Bett aus Asche, durchweicht und matschig vom Regen der letzten Nacht, darauf halbverkohlte Äste, ein paar angesengte Bierdosen und die geschmolzenen Wracks zweier Turnschuhe. Dani langte in ihre Tüte und fischte eine Dose Feuerzeugbenzin heraus, dann stellte sie die Tüte auf den Kopf und sah die Schätze ihrer Kinderjahre in die Grube plumpsen. Ohne zu zaudern, aber auch ohne Boshaftigkeit - ohne irgendeine Emotion außer dem warmen, beständigen Gefühl froher Erwartung, das sie den ganzen Tag schon begleitete - schüttete sie die halbe Dose Benzin über Fotos, Babyschuhen und Urkunden aus, riss ein Streichholz an und warf es auf den Haufen.
Aber es war nicht wie im Kino: Das Streichholz verlosch, ehe es auf der Flüssigkeit auftraf. Dani riss das nächste an. Sie wölbte die Hand um das zarte Flämmchen, kniete sich hin und hielt den Streichholzkopf an das Fell eines Plüschpandas.
Augenblicklich fing das Benzin Feuer, und sie sprang zurück, während der ganze Haufen schon in Flammen aufging.
Sie zündete sich eine Zigarette an und sah ihren Sachen beim Brennen zu. Draußen auf dem See schwammen zwei Eistaucher nebeneinanderher und verschwanden dann mit einer einzigen glatten Bewegung unter der Wasseroberfläche. Der Mann im Motorboot fiel ihr wieder ein, der damals, als sie ein kleines Mädchen war, auf diesem selben See Jagd auf ein Eistaucherweibchen gemacht hatte. Aus irgendeinem Grund hatte das Tier nicht fliegen können - ein gebrochener Flügel vielleicht. Aber es hatte das Boot rechtzeitig bemerkt und war untergetaucht, um nach einer Minute oder zweien fünfzig Meter weiter wieder hochzukommen. Der Mann nahm erneut Kurs auf das Tier, und erneut tauchte es weg. Dani hatte noch das Motorengeräusch im Ohr - dieses verhaltene, räuberische Tuckern, solange der Mann auf das nächste Auftauchen wartete, und dann das Aufheulen, wenn der Vogel an die Oberfläche kam; es trug über den ganzen See bis zu der Stelle am Ufer, wo Dani und ihre Mutter in der Sonne lagen. Und sie sah noch die glitzernde Raute aus Sonnenlicht, reflektiert von dem verchromten Scheinwerfer am Bug des Bootes, das immer von Neuem auf den gequälten Vogel zubrauste. Über eine Stunde zog sich das hin, den Eistaucher verließen immer mehr die Kräfte, die Zeit, die er unter Wasser blieb, wurde immer kürzer, der Abstand zum Boot immer geringer, bis er schließlich zum letzten Mal auftauchte, und der Mann gab Gas, und der Vogel war zu erschöpft, um noch einmal zu tauchen, und das war’s dann.
In Danis Erinnerung war das das einzige Mal, dass sie als Kind geweint hatte. Warum, Mama? , hatte sie immer wieder geschluchzt, und ihre Mutter, die mit trockenen Augen auf den Mann mit seinem Boot starrte, hatte kaum merklich
den Kopf geschüttelt und gesagt: Ich weiß es nicht, Herzchen. Manche Männer sind einfach so. Und Dani hatte nicht begreifen können, und begriff bis zum heutigen Tag nicht, warum ihre Mutter keine Träne um den Vogel oder um den Kummer ihrer Tochter vergossen hatte.
Das hier dagegen - diese mutwillige Zerstörung der Andenken an ihr bisheriges Leben - würde ihrer Mutter durchaus ein paar Tränen entlocken. Der Gedanke verschaffte Dani keine Genugtuung; es war etwas, das sie sich selbst schuldig war; die Frage, was andere dazu sagten, stellte sich erst einmal nicht. Ohnehin würde ihre Mutter nie verstehen, dass der Anlass für Dani ein freudiger war: ihre Art, alles Alte, Verbrauchte, Wertlose in ihrem Leben über Bord zu werfen - ihr Willkommensgruß an die Zukunft.
Aber irgendetwas fehlte noch. Sie wollte morgen als ganz und gar neuer Mensch aufwachen, und dafür reichten die Sachen, die sie angezündet hatte und die inzwischen weitgehend zu Glut und Asche verbrannt waren, noch nicht aus. Also ging sie zurück zum Auto, holte Talar, Hut und Zeugnis heraus und warf auch sie kurzentschlossen ins Feuer. Der Talar und der Hut verschmorten schnell, unter Absonderung eines grauenhaften chemischen Gestanks. Das Zeugnis in seinem Kunstlederdeckel brauchte länger, bis es Feuer fing. Dani stocherte mit einem Stock
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