Gott ist tot
an.
»Mein Auto ist Kleinholz«, sagt sie. »Sämtliche Fenster sind
eingeschlagen. Und die Reifen muss jemand mit der Kettensäge bearbeitet haben.«
»Das war Jeff«, sage ich.
»Es war Jeff, na super«, sagt sie. »Und wie hat er das mit uns deiner Meinung nach rausbekommen?«
»Keine Ahnung. Er weiß über den Tunnel Bescheid. Er muss dich gesehen haben, wie du gekommen oder gegangen bist.«
»O mein Gott.«
»Selia, reg dich nicht auf«, sage ich.
»Ich soll mich nicht aufregen? Und wie soll es jetzt weitergehen? Soll ich sechzig Meilen weit fahren, um mir eine Cola zu kaufen, wie du?«
»Liebling«, sage ich, »wir finden eine Lösung.«
»Er wird es allen sagen, die er kennt. Und die sagen es allen, die sie kennen. Sie werden mich aus der Stadt jagen. Sie werden mit Fackeln und einem Strick vor meiner Haustür anrücken«, sagt sie. »Ich kann nicht von hier weggehen. Das wäre Moms Tod. Sie ist in diesem Haus aufgewachsen.«
»Vielleicht kommt es ja gar nicht so schlimm.«
»Sag so was nicht«, sagt sie. »Du glaubst es ja selber nicht. Es wird mindestens so schlimm kommen. Es wird die Hölle sein.«
Sie fängt zu weinen an. Wie versteinert sitze ich da, den Hörer ans Ohr gepresst, und während ich ihren Schluchzern lausche, wird ein Gefühl in mir wach, das ich schon fast nicht mehr kannte - Wut.
»Versteh das nicht falsch«, sagt sie leise, »denn es hat wirklich nichts mit dir persönlich zu tun, aber jetzt gerade bereue ich es ein bisschen, dich jemals kennengelernt zu haben. Ich habe das Gefühl, das sollte ich dir sagen.«
Meine Gedanken, aufgestachelt von dieser so unvermittelten,
unvertrauten Wut, galoppieren wild voraus, und ich kann Selia nur mit Mühe hören.
»Das ist fast das Schlimmste daran, dass Gott tot ist«, sagt sie. »Weißt du, was ich meine? Wenn dir früher alles schiefging, konntest du immer noch mit der Faust zum Himmel hinaufdrohen und Beschimpfungen in dich reinmurmeln, und irgendwie wusstest du, Gott hat Verständnis dafür - er hatte dich in diese Scheißsituation gebracht, also war es dein gutes Recht, sauer auf ihn zu sein. Jetzt ist die Kacke am Dampfen, und es ist niemand da, dem man die Schuld geben kann.«
»Selia«, sage ich. »Mach deine Mutter ausgehfertig. Ich hole euch ab.«
»Wohin gehen wir?«
»Ins Asia-Haus.«
An ihrem Ende entsteht eine Pause. »Wie bitte?«
»Hör mir erst mal zu«, sage ich. »Ich habe eine Idee.«
Selia hört zu. Als ich fertig bin, weint sie noch mehr und sagt, so etwas mache sie nicht, unter gar keinen Umständen, aber ihre Weigerung ist der schwächliche Protest derer, die wissen, dass sie keine Wahl haben.
»Gib mir zehn Minuten«, schnieft sie.
Trotz regelmäßiger Fälle von Lebensmittelvergiftung ist das Asia-Haus schon sechs Jahre in Folge das beliebteste Restaurant von ganz Watertown. Es ist außerdem das einzige Lokal der Stadt, in dem ich als Essensgast geduldet bin - der Besitzer, Ping, bringt als Chinese Kindern die gebührende Gleichgültigkeit entgegen und ist deshalb von der Zwangstherapie befreit.
Als wir ankommen, ist der Parkplatz voll wie immer. Ich parke den Jaguar ein und wende mich zu Selia um.
»Also«, sage ich. »Ich geh jetzt da rein. Du wartest hier
eine Viertelstunde oder so, dann kommst du nach, und alles läuft wie besprochen.«
Selia weicht meinem Blick aus. »Ich mach das nicht mit«, sagt sie. »Ich hasse dich dafür, dass du mir das antust.«
»Viel anderes bleibt uns nicht übrig«, sage ich. »Es sei denn, du willst nach New Hampshire ziehen.«
»Ich gehe nicht nach New Hampshire«, meldet Selias Mutter vom Rücksitz.
»Okay?«, sage ich. »Selia?«
»Okay.«
»Aber du musst es richtig rüberbringen«, betone ich. »Es funktioniert nur, wenn du hundertprozentig überzeugend wirkst.«
»Betty?«, sagt ihre Mutter. »Wohin fahren wir?«
»Wir wollen nur kurz was essen, Mom«, sagt Selia.
Ich steige aus dem Auto und gehe zum Restauranteingang, einer Flügeltür aus Fiberglas, die verziert ist wie das Portal eines chinesischen Tempels. Der höhlenähnliche Speisesaal ist dicht besetzt. Zweihundert Gesichter drehen sich mir entgegen und verfinstern sich. Familie Shofner wirft einen Blick auf mich, erhebt sich geschlossen, lässt die noch halbvollen Teller stehen und stelzt hinaus. Ping derweil führt mich mit bescheidenem Lächeln zu einem Tisch nahe der Miniaturausgabe der Chinesischen Mauer, die das Restaurant der Länge nach durchzieht.
»Etwas zu trinken?«, fragt
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