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Gott ist tot

Titel: Gott ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald F Currie
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vor kurzem etwas bedrückt, eine graue Tristesse, die mich nachts schlaflos auf die Sprungfedern des Stockbettes über mir starren ließ und es mir tagsüber oft unmöglich machte, auf die Sorgen und Nöte eines Mithäftlings einzugehen. Eine Zeitlang dachte ich, mir fehlte einfach Selia, aber wenn ich meine Gedanken in die Zukunft richtete, auf den nicht mehr allzu fernen Tag, an dem ich sie wiedersehen würde, tröstete mich das nur wenig. Mehrere schlaflose Monate mussten vergehen, ehe ich dieses Missbehagen als die Sehnsucht nach etwas identifizieren konnte. Aber statt meine Stimmung aufzuhellen, verdüsterte die Erkenntnis sie nur noch mehr - nun da ich wusste, dass ich mich nach etwas sehnte, quälte es mich zutiefst, nicht zu wissen, wonach.
    Und dann, gestern, kam dieser Brief von Selia:
     
    Nur noch ein Jahr. Es wird um sein, ehe wir uns versehen, und dann können wir diese Drecksstadt verlassen und endlich unser Leben weiterleben. Also mache ich dir jetzt einen
Vorschlag - und halt dich lieber fest, er hat es in sich! Ich weiß auch nicht, aber seit Moms Tod vermisse ich es furchtbar, jemanden zu haben, um den ich mich kümmern kann. Absurd, aber so ist es nun mal. Also dachte ich, wie wär’s: du, ich, ein bambino? Wir sind anders als diese säuselnden, liebedienerischen Halbdebilen hier. Wir werden gute, vernünftige Eltern sein. Und wir würden ein hübsches Kind in die Welt setzen - vorausgesetzt, es erbt nicht deine Nase. Ich habe ausgiebig darüber nachgedacht, und mein Entschluss steht. Nächste Woche gehe ich zu Dr. DerSimonian und lasse mir die Spirale herausnehmen. Ich meine, stell es dir vor: nie wieder mit Gummi! Ein schwacher Trost, ich weiß, wenn du noch ein ganzes Jahr darben musst. Aber vielleicht kann dir der Gedanke ja deine Nächte ein bisschen versüßen.
     
    Ich las den Brief drei- oder viermal. Ich legte ihn vor mich auf den Tisch und las ihn noch einmal, verschränkte die Finger ineinander, faltete sie so und dann so. Meine Handflächen waren schweißnass; ich wischte sie an dem groben Drillichstoff meines Gefängnisoveralls ab, während mein Atem immer schneller ging und ich dringend eine Zigarette herbeisehnte, obwohl ich nie geraucht habe, und dann nahm ich mit zitternden Händen Stift und Papier und schrieb meine Antwort, ein einzelnes Wort, zwei Buchstaben, in einer ungestümen, drängenden Schrift, die die ganze Seite ausfüllte: JA.

Vaterunser
    Sieh den Wein nicht an, wie er so rot ist und im Glase so schön steht: Er geht glatt ein, aber danach beißt er wie eine Schlange und sticht wie eine Otter. Und du wirst sein wie einer, der auf hoher See sich schlafen legt, und wie einer, der oben im Mastkorb liegt. »Sie schlugen mich, aber es tat mir nicht weh; sie prügelten mich, aber ich fühlte es nicht. Wann werde ich aufwachen? Dann will ich’s wieder so treiben.
    Sprüche Salomos 23, 31-32; 34-35

    M ein Vater und ich sind mit dem Pickup unterwegs, als mir der Junge auffällt, reglos vor einer Hauswand im Gras liegend, sein Kopf direkt unter einem der Fenster. Nicht weit weg von ihm liegt ein Rucksack, und an einem Baum lehnt ein klappriges altes Zehngangrad, so schief, als müsste es dagegengeprallt sein.
    »Da liegt ein verletzter Junge«, sage ich zu meinem Vater. Wir kommen vom Rasenmähen, deshalb trägt er sein Hörgerät nicht, und ich muss es mehrmals wiederholen. Bis er endlich verstanden hat, sind wir schon den Hügel hinunter. Mein Vater wendet in einem weiten Bogen, der den Anhänger hüpfen lässt, und fährt wieder hoch.
    Vor dem Haus halten wir an und steigen aus. Als wir über die Grasfläche laufen, sehe ich, dass die Gestalt an der Hauswand kein Junge ist, sondern ein erwachsener Mann. Er kommt mir etwas jünger vor als mein Vater, Ende vierzig vielleicht. Er liegt auf der Seite; der Hosenboden seiner Jeans ist bräunlich, ich weiß nicht, ob von Erde oder von Kot. An seinem Kopf steht eine Flasche Bud Ice, leer bis auf einen Rest gelblichen Schaums, daneben ein zerfleddertes Plakat mit der Botschaft GOTT LEBT. Die Augen des Mannes sind leicht geöffnet, sein Blick starr. Vielleicht ist er ja tot.
    Ich denke immer gleich das Schlimmste.

    Sicherheitshalber lasse ich meinen Vater das Kommando übernehmen. Er war dreißig Jahre Rettungsfahrer, er hat mit solchen Dingen also mehr Erfahrung als ich.
    Wir beugen uns über den Mann, und mein Vater sagt: »He.« Er fasst ihn am Ellenbogen. »He«, sagt er und schüttelt ihn. »Aufwachen, Kumpel.«
    »Er heißt

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