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Gott ist tot

Titel: Gott ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald F Currie
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ihren Göttern erhob. Jetzt sind Kinderbekleidungskataloge - ihre Herstellung, ihr Vertrieb, ihr Besitz - natürlich illegal, aber dank
meinem BUKK-Gehalt war es mir im letzten Jahr ein Leichtes, diskret fast fünfzig verschiedene Kataloge aufzutreiben. Die meisten stammen aus Skandinavien, wo Bildnisse von Kindern keinen Straftatbestand darstellen, deshalb sind die Models einheitlich blauäugig und blond, aber daran störe ich mich nicht. Kinder sind Kinder.
    Ich setze mich auf den Boden und breite die Sammlung vor mir aus. Eine Weile weide ich mich an den Coverfotos, an den kleinen Ärmchen und Beinchen, den knisternd-glatten neuen Parkas und flotten Jeans-Overalls, dem milchzähnigen Lächeln. Dann schichte ich die Kataloge zu einem Stapel auf und blättere sie einen nach dem anderen durch. Meine Lieblingsseiten sind mit Post-its markiert. Alle meine Lieblingskinder sind Jungen, alle haben sie einen Namen und eine Geschichte, und jede dieser Geschichten ist heiter. Ich lächle und werde Teil ihrer Heiterkeit, dieses Wohlbehagens, das ein normales Leben und hundert Prozent Naturfasern bescheren. Zeitweilig bin ich so gerührt, dass ich ein bisschen weine.
    Aber das sind die einzigen Phantasien, die ich mir gönne. So groß die Versuchung bisweilen auch sein mag, stelle ich mir nie vor, dass Laura noch am Leben ist oder dass unser Sohn seine Geburt überlebt hat und jetzt als hinreißender Zweijähriger herumwackelt und alles anstaunt, ein fröhlicher Junge mit dem roten Haar seiner Mutter und einer tiefen Verehrung für Mack-Trucks. Nie liege ich dösend auf dem Sofa und bilde mir ein, seine nackten Füßchen über den Küchenboden platschen zu hören, einer Wollmaus oder einem Matchbox-Auto hinterher. Genauso wenig, wie ich mir ausmale, Selia einfach bei der Hand zu nehmen, diese Stadt ihrem elendiglichen Schicksal zu überlassen und eine neue Familie zu gründen, an einem Ort, wo es warm ist und die Menschen nicht verrückt sind.

    Nie, nicht ein einziges Mal, gestatte ich mir einen derartigen Luxus.
    O nein. Nach einer Weile sammle ich die Kataloge wieder ein, packe sie in den Safe zurück, drehe das Zahlenrad und gehe nach oben, um mein Abendessen aufzutauen.
     
    Am nächsten Morgen muss ich zur Bank, also breche ich eine halbe Stunde eher auf. Lester Hicks, der Direktor der Kennebec Federal Savings, hat eine sechsjährige Tochter und ist mir so spinnefeind wie alle anderen Eltern, Großeltern, Paten, Tanten, Onkel, großen Brüder oder Schwestern hier in der Stadt, aber da ich mehr wert bin als das Bruttosozialprodukt von Sierra Leone und Gambia zusammengenommen, duldet er mich grollend als Kunden.
    Was nicht heißt, dass ich freundlich oder auch nur höflich behandelt würde. Als ich auf den ersten Platz in der Schlange vorrücke, hängen alle drei Schalterbeamten gleichzeitig ihre GESCHLOSSEN-Schilder ins Fenster und verschwinden. Ich warte. Hinter mir wird gemurrt und geschimpft, nicht auf die Bankangestellten, sondern auf mich. Jemand zieht meine Abstammung in Zweifel und lässt recht unzart anklingen, ich könnte meine Existenz der Sodomie verdanken. Ein anderer meint, vielleicht wäre ich ja einfühlsamer, wenn ich selbst Kinder hätte, nur würde das eben gewisse sexuelle Handlungen voraussetzen, zu denen ich eindeutig nicht fähig bin. Das geht eine Viertelstunde so, bis die Schalterbeamten wieder auf der Bildfläche erscheinen, von Lester aus dem Gemeinschaftsraum gescheucht. Sie debattieren in giftigem Flüsterton mit ihm. Schließlich verordnet Lester mehrere Runden Schere-Stein-Papier, nach denen sie an ihre Schalter zurückkehren, die Verliererin mit mürrisch gesenktem Haupt.

    Auf dem Weg zum Ausgang stoße ich fast mit Selia zusammen, die von der Straße hereinkommt.
    »Hallo«, sage ich und wappne mich schon einmal.
    »Hallo«, sagt sie leise, dann, lauter: »Platz da, Sie Kretin!« Sie räuspert sich so geräuschvoll, dass ihr ganzes Gesicht sich verzieht, und spuckt mir einen dicken Batzen Speichel auf mein Sportsakko.
    Alle in der Bank applaudieren. Selia wirft mir einen Blick zu, der entschuldigend ist, aber auch belustigt. So heftig sie das sicher abstreiten würde: Manchmal frage ich mich, ob diese »Zufallsbegegnungen« wirklich so zufällig sind; immerhin scheinen sie bevorzugt dann aufzutreten, wenn wir eine Meinungsverschiedenheit hatten, und so, wie ich Selia kenne, würde ich es ihr durchaus zutrauen, ein Zusammentreffen in der Öffentlichkeit herbeizuführen, damit sie mich

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