Gott ist tot
danken. Drück sie von mir, will ich noch sagen. Aber dann lasse ich es lieber.
Ich versuche Geduld mit Melissa zu haben. Ich lasse ihr mehr Freiraum. Ich schlafe auf dem Sofa. Tagsüber verbringe ich möglichst viel Zeit draußen im Garten, obwohl es kälter wird und der Herbst langsam in den Winter übergeht.
Wir haben seit einem Monat nicht mehr miteinander geschlafen. Einmal, ein paar Tage ist das jetzt her, saßen wir beim Tee und schwatzten, und sie lächelte über irgendetwas, das ich gesagt hatte. Es war ein schöner Moment, und so getraute ich mich, sie ganz leicht auf den Mund zu küssen. Aber als ich mich wieder aufrichtete, hatte sie eine Gänsehaut auf den Armen, und alles Blut war ihr aus dem Gesicht gewichen. Seitdem habe ich sie nicht mehr angerührt.
Sie hat Albträume. Ich schlafe fast gar nicht, und so wälze ich mich auf dem Sofa hin und her und höre, wie sie drüben wimmert und seufzt. Ich möchte ins Schlafzimmer hinübergehen und sie wecken - ihr über die Haare streicheln und sanft und beruhigend auf sie einreden. Ich möchte sie in die Realität zurückholen und die Erleichterung auf ihrem Gesicht sehen, wenn sie die Augen aufmacht und merkt, dass alles nur ein schlimmer Traum war. Ich darf nichts davon.
Ich fühle mich nicht danach, dennoch gehe ich wieder zur Arbeit. Ich soll mir alle Zeit lassen, die ich brauche, hat mein Vorgesetzter mir gesagt (niemand scheint recht zu wissen, wie lang die Trauerphase in Fällen wie meinem zu sein hat), aber die unbezahlten Rechnungen stapeln sich, Melissa wird auch nicht gesprächiger, also gehe ich eben.
Ich arbeite als Qualitätskontrolleur bei Chinet Paper Products. Ich schiebe meine Karte in die Stechuhr und gehe an meinen Platz, wo ich die Pappteller auf dem Förderband an mir vorbeifahren lasse und die herausziehe, die sichtbar beschädigt sind. Nach vier Stunden schrillt die Glocke, und ich gehe zum Essen. Mike, der in der Verpackungsabteilung arbeitet, trifft sich in der Kantine mit mir. Wir sitzen an einem Tisch mit Fred und Duke. Ich stochere in dem Lunchpaket herum, das ich mir selber gemacht habe; früher ist Melissa immer aufgestanden, um mir mein Essen einzupacken, aber heute nicht. Mike und Fred und Duke reden über Football. Die Patriots legen mal wieder eine miserable Saison hin. Duke war so unvorsichtig, bei dem Spiel gegen die Packers letzten Sonntag auf sie zu setzen, und hat einen Fuffi verloren. Seine Frau wird ihn umbringen, sagt er. Wenn sie dahinterkommt, sagt er. Dann fangen sie an, über den Krieg zu fachsimpeln, über die Verluste im Pazifik. Es sieht nicht gut aus, sagen sie. Sie geben
sich alle drei Mühe, mich ins Gespräch einzubeziehen. Sie stellen mir ganz gezielt Fragen. Sie wollen wissen, wie ich über dieses oder jenes denke, welche Mannschaft mir die besten Aussichten auf den Cup zu haben scheint, ob Trent Jackson es wohl schaffen wird, in Mexiko gegen die EvoPs die Stellung zu halten. Aber ich habe die Footballsaison dieses Jahr nicht verfolgt, und der Krieg erscheint mir so fern wie Pluto, darum habe ich nicht viel beizutragen.
Einmal murmle ich irgendeine Antwort auf eine Frage, und die drei schweigen einen Moment und wechseln Blicke, von denen sie glauben, ich würde sie nicht bemerken.
Nach der Mittagspause ruft mich mein Vorgesetzter in sein Büro. Er bietet mir einen Stuhl an und fragt mich, wie es mir geht, ob er irgendetwas für mich tun kann. Er ist ein guter Vorgesetzter. Er hat sich aus der Werkhalle hochgearbeitet, deshalb weiß er, wie es dort zugeht, und er kümmert sich um seine Arbeiter.
Meine Tür steht immer offen, sagt er, falls Sie mal reden wollen.
Und mit einem Schlag wird mir die Kehle eng, meine Sicht verschleiert sich, und fast sprudelt es alles aus mir heraus: das mit Melissa und mit meinen Eltern und dass ich einfach nur will, dass alles wieder so wird wie früher. Aber ich beiße die Zähne zusammen und sage nichts, weil Selbstbeherrschung das A und O ist - wenigstens einen Anschein von Normalität muss ich aufrechterhalten, wenn mein Leben jemals wieder in geregelte Bahnen zurückfinden soll.
Danke, sage ich und mache, dass ich aus dem Büro komme, bevor die Tränen zu fließen beginnen.
Melissas Schwester Lacy kommt oft vorbei. Die beiden sitzen am Küchentisch und reden und rauchen. Melissa trinkt
ihren Tee. Lacy macht sich Kaffee aus dem Instantpulver, das wir in einer Dose im Regal stehen haben. Sie reden mit gedämpften Stimmen. Selbst wenn ich gleich
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