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Gott ist tot

Titel: Gott ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald F Currie
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einer dicken Laubschicht begraben. Die Blätter waren zu Anfang leuchtend orange und rot und gelb, aber jetzt liegen sie schon eine ganze Weile, und Regen und Fäulnis verwandeln sie nach und nach in einen einheitlichen dunkelbraunen Matsch. An der Hausecke hat sich eine Bahn der Vinylverkleidung gelöst und schlägt mit einem klatschenden Geräusch im Novemberwind hin und her. Letzte Woche hat irgendwer ein
Fenster im oberen Stock eingeschmissen, und die Scheibe ist nicht ausgewechselt worden. Ich habe das Loch mit einem Stück Sperrholz geflickt, damit die Kälte nicht so hereinpfeift, und keiner, nicht ich, nicht meine Mutter, nicht mein Vater, rührt an die Frage, warum jemand so etwas macht. Ich möchte am liebsten denken, dass es irgendwelche Jugendlichen waren, die ein Ventil für die letzten Reste ihres Halloween-Übermuts gebraucht haben. Also denke ich genau das.
     
    Eines Nachts hat Melissa ihre üblichen Albträume, und das einzige Geräusch im Haus ist ihr Wimmern und Weinen, und da wage ich es - ich stehe vom Sofa auf und gehe zu ihr ins Schlafzimmer. Ich setze mich vorsichtig neben sie aufs Bett. Das Zimmer ist dunkel bis auf ein paar silbrige Mondstreifen, die durchs Fenster hereinfallen, aber ich kann sehen, dass ihr das Haar strähnig im Gesicht klebt, ganz zerwühlt und nass von Schweiß, und ich streiche es sacht mit zwei Fingern zurück.
    Lissa, sage ich zu ihr, ist ja gut, Baby. Ist ja gut.
    Ich sage, ich bin’s, Lissa. Es ist nichts passiert, Süße, ich bin’s nur, alles wie immer.
    Wach auf, sage ich. Komm, Lissa, Süße, wach auf.
    Sie wacht nicht auf, aber ihr Schluchzen verstummt, und sie schmiegt sich im Schlaf an meinen Schenkel. Ich schaue dem Mond zu, wie er langsam am Fenster vorbeiwandert. Es ist, als würde man dem Stundenzeiger einer Uhr zuschauen. Ich rühre mich nicht.
     
    Der Prozess gegen meinen Bruder dauert nur vier Tage. Er wird wegen Unzurechnungsfähigkeit für nicht schuldig befunden und in die staatliche Irrenanstalt in Augusta eingewiesen. Bald darauf kehrt für die meisten Menschen in der Stadt
der Alltag wieder ein, und sie vergessen ihn und das, was er getan hat. Dennoch, sooft sie mich sehen, flackert es in ihren Augen, und sie erinnern sich.
     
    Es wird Winter. Erster Schnee deckt den braunen Garten meiner Eltern mit dickem, blendendem Weiß zu, und gottlob bleibt er liegen. Das Stück Außenverkleidung hängt immer noch herunter, und die Scheibe im Obergeschoss ist immer noch zerbrochen, aber mit dem Schnee sieht alles nur halb so schlimm aus.
    Meine Mutter will über den Winter nach Florida. Sie fährt zu einem Reisebüro ein paar Ortschaften weiter und telefoniert mit einem Immobilienmakler in Palm Beach. Jeden Morgen liegt sie meinem Vater so lange in den Ohren, bis er duscht und sich Hose, Schuhe und ein frisches Baumwollhemd anzieht. Ich muss jetzt keine Besorgungen mehr für sie machen; meine Mutter erledigt wieder alles selber. Erhobenen Hauptes geht sie in den Läden umher, ihr Rücken kerzengerade und steif.
     
    Melissa und ich teilen seit einiger Zeit wieder das Bett. Eines Abends will sie von mir, dass ich mit ihr schlafe.
    Bist du dir sicher?, frage ich.
    Ich glaube schon, sagt sie. Ich muss es versuchen. Ich muss es wissen.
    Ich drehe mich zu ihr. Ich lege ihr die Hand auf die nackte Schulter und spüre sie unter meiner Berührung zusammenzucken. Ich schiebe mich auf sie, und sie küsst mich, immer wieder, hastige, verzweifelte Küsse. Sie zittert und bebt unter mir. Als ich die Hände zu ihrem Gesicht hebe, sind ihre Wangen nass. Sie küsst mich, und ihre Tränen fließen mir warm über die Fingerknöchel.

    Hinterher liegen wir auf getrennten Seiten des Bettes.
    Wie konnte er das tun, Jim?, sagt Melissa, und ein klein bisschen weint sie immer noch. Diese armen, armen Frauen!
     
    Meine Eltern sind jetzt weg. Ich habe ihnen geholfen, das Haus dichtzumachen, und vor drei Tagen sind sie abgefahren, in eine Ferienwohnung in Palm Beach.
    Melissa ist auch weg. Sie ist nach Norden gefahren, zu ihrem Vater in Presque Isle, wo sie bis zum April eingeschneit und beschützt sein wird. Sie hat gesagt, dass sie zurückkommt. Es ist nicht vorbei, hat sie gesagt. Ich muss nur eine Zeitlang für mich sein.
    Es ist Abend, und ich fahre durch einen Blizzard nach Augusta. Das Tempolimit ist auf fünfundvierzig heruntergesetzt worden. Meine Scheinwerfer beleuchten nasses, wildes Gestöber und sonst nichts, und die zwanzig Meilen bis Augusta kosten mich fast eine

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