Gott ist tot
nebenan bin, verstehe ich nicht, was sie sagen.
Bei einem von Lacys Besuchen gehe ich in der rot-schwarzkarierten Wolljacke nach draußen, die mein Großvater mir vor Jahren geschenkt hat, kurz vor seinem Tod. Ich ziehe mir Arbeitshandschuhe an und mache mich daran, die alten Strünke aus den Gemüsebeeten zu reißen, die Melissa und ich letztes Frühjahr angelegt und gehegt und gepflegt haben. Der Mais, der trotz all meiner Extrazuwendung eine einzige käferzerfressene Enttäuschung war, leistet keinen Widerstand. Ich ziehe die Stängel heraus, schüttle die lose Erde von den Wurzeln, werfe sie auf die Seite. Dann nehme ich mir die beiden großen, wild rankenden Zucchinipflanzen vor. Die waren ein Volltreffer. Jeden Abend, wenn ich von der Arbeit heimkam, lagen wieder zwei oder drei neue Zucchini frisch gewaschen neben der Spüle. Und zwar enorme. Den ganzen Sommer lang machte Melissa gefüllte Zucchini, überbackene Zucchini, Zucchinibrot. Beim Essen witzelten wir dann darüber, dass wir keine Zucchini mehr anrühren wollten, solange wir lebten. Und immer noch kamen neue Früchte nach, in einem atemberaubenden, wahnwitzigen Tempo.
Selbst jetzt, wo die Stängel vom Frost flachgedrückt und ihre Blätter bräunlich und verwelkt sind, klammern sich die Pflanzen starrsinnig im Erdreich fest. Ich scharre die Wurzeln mit einem Spaten frei und biege die Strünke hin und her, um sie ein bisschen zu lockern. Große Fortschritte mache ich nicht. Dann höre ich die Fliegentür zuschlagen und blicke auf und sehe Lacy auf der Veranda stehen. Sie hat ihre Jacke an und die Autoschlüssel in der Hand. Sie schaut zu mir herüber.
Diese Mistdinger wollen einfach nicht absterben, sage ich zu ihr, als sie die Stufen herabsteigt und auf mich zukommt.
Warum lässt du sie nicht einfach?, fragt sie.
Es gibt ein einziges Chaos im Frühjahr, sage ich, wenn ich sie jetzt nicht rausreiße.
Ich fange wieder zu graben an, kratze die Erde mit meinem Spaten weg. Es ist ein komisches Gefühl, weil sie einfach nur dasteht und mir beim Graben zuschaut, ohne dass einer von uns etwas sagt.
Lacy schweigt noch einen Moment länger. Dann sagt sie: Du musst etwas tun. Meine Schwester braucht dich.
Ich hebe den Kopf. Und was soll ich deiner Meinung nach tun, Lacy?, frage ich.
Sie verschränkt die Arme vor der Brust und sagt: Weiß nicht. Irgendwas. Sie ist am Ende, und du gräbst Mitte November die Beete um.
Ich stelle mich hin. Sie behandelt mich wie einen Aussätzigen, sage ich. Sie braucht Hilfe, klar. Sie will vielleicht sogar Hilfe. Aber sie will sie ganz bestimmt nicht von mir.
Ich habe mich zu meiner vollen Größe aufgerichtet. Ich überrage Lacy um gut fünfzehn Zentimeter. Sie schaut auf den Spaten in meiner Hand. Dann sieht sie hoch, mir in die Augen. Ich weiß, was sie jetzt denkt. Und obwohl es natürlich die verkehrte Reaktion ist, sage ich wütend:
Mach nur. Denk, was du willst. Hab Angst vor mir, wie deine Schwester. Aber ich bin nicht mein Bruder. Ich habe nichts getan.
Lacy weicht einen Schritt zurück, langsam, dann noch einen. Sie sagt: Vielleicht ist das ja das Problem. Du hast nichts getan.
Damit dreht sie sich um und geht zu ihrem Auto in der Einfahrt.
Ich stehe da und schaue ihr zu, wie sie einsteigt, den Zündschlüssel dreht, zurückstößt. Ich werfe einen Blick zum Haus hin und meine einen Moment lang, Melissas Gesicht hinter dem Küchenfenster zu sehen: geisterhaft, wachsam. Aber es ist nur eine Spiegelung in der Scheibe.
Mein Vater isst fast nichts. An manchen Tagen wäscht er sich nicht, zieht sich nicht einmal an, schlurft einfach nur bis zum Abend in Schlafanzug und Bademantel herum. Anders als meine Mutter hatte er das, was er als seinen Teil der Verantwortung für die Tat meines Bruders sah, auf sich genommen. Das war, bevor man sie beide der Gottesanbetung zu bezichtigen begann.
Wenn etwas nur oft und nachdrücklich genug wiederholt wird, spielt es anscheinend keine Rolle mehr, ob es wahr ist oder nicht. Es wird zur Wahrheit. Also sitzt mein Vater die meiste Zeit im Bademantel da und macht gar nichts. Wenn’s hochkommt, blättert er mal in einem Buch oder einer Zeitschrift. Oder schaut aus dem Fenster.
An manchen Tagen bleibt er gleich im Bett.
Meine Mutter geht seit einer Weile wieder aus dem Haus: kleinere Einkäufe erledigen, zum Friseur. Einmal war sie auch bei ihrem Cribbage-Abend, aber sie sagt, sie will nicht mehr hingehen.
Die Bäume sind kahl, und der Garten meiner Eltern ist unter
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