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Gott ist tot

Titel: Gott ist tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald F Currie
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Fahnenflucht standen, dachte er nicht groß nach, denn es war klar, dass es keine geben würde. Seit dem letzten, vernichtenden Vorstoß der Evolutionspsychologen versuchte niemand mehr, auch nur den Anschein von Zusammenhalt oder Kontrolle zu wahren. Arnold hatte einen Generalleutnant gesehen, der sich auf offener Straße nackt auszog und in die blutverschmierten Kleider eines Leichnams stieg, mit verstohlenen, angsterfüllten Blicken, die ganz und gar nichts Offiziersmäßiges hatten, und wenig später entledigte sich auch Arnold seiner Kampfmontur und trat den Marsch nach Norden an, in eine Heimat, die er seit acht Jahren nicht mehr gesehen hatte.
    Der Weg war mühsam. Die Straßen waren verstopft von
liegen gebliebenen und ausgebrannten Fahrzeugen, als Ballast abgeworfenen Habseligkeiten, mexikanischen Bauern, die Kinder am Rockzipfel hatten und Schweine vor sich hertrieben, und den allgegenwärtigen Toten und Sterbenden. Arnold humpelte oben auf der Böschung, einen Granatsplitter tief im Fleisch seines Oberschenkels, vorwärtsgepeitscht trotz Schmerz und Durst und Verzweiflung, nicht von der Angst vor dem Sterben, sondern der Angst, sterben zu müssen, ohne seine Mutter wiedergesehen zu haben. Selia, seine Mutter, die ihn verflucht hatte, als sie erfahren hatte, dass er zu den PoMo-Marines wollte. Die auf ihren eigenen Küchenboden gespuckt hatte, als Arnold ein letztes Mal seinen Vater umarmte und seinen Seesack über die Schulter nahm. Und die jetzt, wie Arnold aus den Briefen seines Vaters wusste, an der gleichen Demenz litt, an der bereits ihre Mutter gestorben war.
    Wenn man einen Menschen schon verlieren muss, dann sollte es schnell gehen, Arnie , hatte im letzten Brief seines Vaters gestanden. Leicht ist es nie, ganz egal, wie die Umstände sind, aber dieser endlos hingezogene Abschied dürfte einfach nicht sein. Es sollte einen Moment geben, und wenn dieser Moment vorbei ist, dann sollte auch der Mensch fort sein, und die Hinterbliebenen könnten durchleiden, was immer sie zu durchleiden haben. Trauer ist schmerzhaft genug, auch ohne dass man dabei von lebenden Geistern heimgesucht wird. Aber ich verliere deine Mutter Stück um Stück, Erinnerung für Erinnerung.
    Die Nachricht machte Arnold zu schaffen, und das nicht nur, weil seine Mutter krank war; sein eigenes, ehedem nahezu photographisches Gedächtnis hatte während der acht Jahre in Mexiko langsam, aber sicher nachzulassen begonnen. Erst hatte er nur gemerkt, dass er die Gesichter der Menschen
daheim nicht mehr nach Belieben aufrufen konnte. Mit geschlossenen Augen saß er da und dachte beispielsweise an seine Mutter, an den sanften Kamillenduft ihres Kräuterparfums oder den kehligen Klang ihres Lachens, aber keine dieser Erinnerungen war von einem Bild begleitet. Er versuchte es mit anderen Menschen - seinem Vater, Freunden, ehemaligen Lehrern - und brachte im besten Fall trübe, wabernde Porträts zustande, wie mit bloßem Auge durch Wasser gesehen.
    Noch verstörender wurde dieses Unvermögen dadurch, dass bei Arnolds Tätigkeit bei den Marines das Gedächtnis - sein eigenes wie auch das der EvoP-Kriegsgefangenen, die er verhörte - sein Hauptkapital war. Für seine Befragungen musste seine Erinnerung nicht nur präzise, sondern auch prompt abrufbar sein; er musste die geistigen Protokolle anderer Verhöre parat haben und Antworten auf bestimmte Fragen mit denen von Tagen oder sogar Wochen zuvor vergleichen können, um seine Fragetaktik nach Bedarf anzupassen und so die Wahrheit hervorzukitzeln. Aber als die Zeit verging und seine Erinnerungen an die fernere Vergangenheit verblassten - wie alt war er gewesen, als sie auf die Insel gezogen waren? Und wie hatte dieses Mädchen geheißen, das er in der High School so angebetet hatte? -, begannen die blinden Flecken die Informationen in seinem Kurzzeitspeicher anzugreifen, und obwohl er dazu überging, die Verhöre aufzuzeichnen, um plötzlichen Aussetzern vorzubeugen, wurde er als Befrager letztlich unbrauchbar.
    Nicht dass es noch ins Gewicht fiel; die Blockade der EvoPs hatte den Kampfgeist der Marines unterhöhlt und ihn schließlich gebrochen. Kein Treibstoff, keine Nahrung, keine Munition, keine Chance. Der Krieg war verloren; das war so simpel und so unausweichlich wie der Tod, und auch die verlässlichsten,
promptesten Geheimdiensterkenntnisse würden daran nichts ändern. Also floh Arnold wie alle anderen auch, und im Zweifel von derselben Hoffnung getrieben wie sie: es bis nach Hause zu

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