Gott oder Zufall?
haben. Diese Werte werden nicht nur dahin gehend angewendet, wie wir zu wissenschaftlicher Erkenntnis gelangen, sondern auch, wie wir damit umgehen.
Die Wissenschaft hat unfassbare Möglichkeiten für die Medien und die Kommunikation eröffnet, doch gleichzeitig auch die Möglichkeit für Pornographie, unsoziales Verhalten und Missbrauch. Werte wirken sich auf das aus, was wir in der Wissenschaft tun und warum wir es tun. Sie gehören zu unserer Motivation dazu, doch woher kommen unsere Werte eigentlich?
Huxley versus Wilberforce: eine »Große Debatte« oder ein historischer Mythos? ⬅
Der Gedanke des dauernden Konflikts zwischen Wissenschaft und Religion fand breite Unterstützung durch anschauliche Anekdoten. Wer hat noch nicht von der »Großen Debatte« zwischen Charles Darwins »Bulldogge«, Thomas Henry Huxley, und dem Bischof von Oxford, dem »öligen« (»soapy«) Sam Wilberforce, gehört? Anlass war das Treffen der British Association for the Advancement of Science, das 1860 in Oxford stattfand, nur einige Monate nachdem Darwin seinen
Ursprung der Arten
veröffentlicht hatte. Der unbesonnene Bischof verspottete Darwin, indem er ihn fragte, ob es ihm lieber wäre, dass sein Großvater oder seine Großmutter ein Affe gewesen war. Daraufhin bekam er bald seine wohlverdiente Strafe. Huxley äußerte sich dahingehend, dass er lieber einen Affen als Vorfahren hätte als einen Mann, der seine großen Gaben dazu nutzte, die Wahrheit zu verschleiern. Den Erfolg hatte Huxley damit auf seiner Seite, der in den meisten Berichten als entschiedener Sieger aus der Debatte um Wissenschaft und Religion hervorging. Das ist natürlich eine tolle Story, aber – ehrlich gesagt – es ist ein Mythos, und das in zweierlei Hinsicht.
Thomas Henry Huxley (1825–1895), Erfinder des Wortes »Agnostiker« und unermüdlicher Propagandist für die Befreiung der Wissenschaft von der Religion © © Photolibrary
In der Rückschau wurde diese Geschichte zu einem Gründungsmythos für Berufswissenschaftler, der die Emanzipation der seriösen Wissenschaft von der Einmischung des Klerus symbolisierte. Doch es ist auch ein Mythos im allgemeineren Sinne, weil Huxley keinen Sieg erringen konnte. Und das behauptete auch nicht sein Sohn Leonard, der das
Leben und die Briefe
seines Vaters herausgab. Ein zeitgenössischer Artikel in der Zeitschrift
Athenaeum
kam der Wahrheit da vermutlich am nächsten: Die beiden Männer hatten »ihren Widersacher gefunden, der ihrer Klinge würdig war, und starteten ihre Angriffe und Gegenangriffe sehr zu ihrer eigenen Zufriedenheit wie zur Freude ihrer jeweiligen Freunde.«
Samuel Wilberforce (1805–1873), Sohn des Kämpfers gegen den Sklavenhandel William Wilberforce und Bischof von Oxford (1845 bis zu seinem Tod). Er war absolut kein wissenschaftlicher Ignorant; er hatte einen erstklassigen Abschluss in Mathematik. © © Bridgeman Art Library/Ken Welsh
Wie es bei vielen Mythen der Fall ist, enthält diese Anekdote einiges an Wahrem. Die Theorie Darwins verletzte zweifellos traditionelle religiöse Gefühle. Wilberforce unterstrich seinen Widerstand in der
Quaterly Review,
wobei er sich selbst keinen Handlungsspielraum ließ:
Der Mensch hat die Vormacht über die Erde erlangt; der Mensch besitzt die Sprache; der Mensch hat die Gabe der Vernunft; der Mensch hat einen freien Willen und Verantwortung; der Sündenfall des Menschen und seine Erlösung; die Inkarnation des Ewigen Sohnes; das Innewohnen des Ewigen Geistes – all das ist vollkommen unvereinbar mit der entwürdigenden Vorstellung des animalischen Ursprungs des Menschen, der nach dem Ebenbild Gottes erschaffen und vom Ewigen Sohn erlöst wurde, um einzugehen in seine Natur.
Richtig ist auch, dass Huxley Darwins Theorie als Mittel schätzte, um die kulturelle Autorität einer heranwachsenden Generation von Wissenschaftlern zu fördern, für die die Wissenschaften Unabhängigkeit genießen sollten. Als Erfinder des Wortes »Agnostizismus« stellte er seine Position jener entgegen, die behaupteten, Insider-Kenntnisse über Gott zu haben.
In einem größeren Zusammenhang wurde jedoch bald deutlich, dass die Diskussion gar nicht die »Große Debatte« gewesen war. Wilberforce war nicht der wissenschaftliche Ignorant der Mythologie. Seine publizierte Kritik ließ das erkennen, was zur damaligen Zeit die schwächsten Argumente in Darwins Rhetorik gewesen waren, als dieser einräumte, dass er »mich ganz großartig
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