Gott oder Zufall?
Voraussetzung, dass es nicht den Anspruch erhebe, dieses Weltbild zu beweisen. Der
Dialog über die Zwei Weltsysteme
erschien 1632. Urban war wütend: Galilei, so sagte er, habe sein Vertrauen missbraucht. Weil er glaubte, dass Galilei tatsächlich die Behauptung des Kopernikus unterstützte? Oder weil Galilei Urbans hartnäckigen Einspruch gegen einen solchen Beweis in den Mund des im
Dialog
fortwährend widerlegten Simplicio gelegt hatte? Oder weil Urban von Kritikern bedrängt wurde, die besänftigt werden mussten, indem er Galilei so unfreundlich behandelte? Ganz sicher werden wir das nie wissen. Was wir aber wissen, ist, dass Urban entschied, das Vergehen sollte streng behandelt werden. Wegen des Verdachts auf Häresie forderte er ein ordentliches Gerichtsverfahren.
Galilei wurde unfreundlich nach Rom beordert, obwohl es ihm erlaubt wurde, in der Villa Medici zu logieren. Was er im Dialog in Bezug auf das kopernikanische System geäußert hatte, ist offenbar nie zur Sprache gekommen. Schließlich erging (nach langem Taktieren) eine ganz schlichte und höchst umstrittene Anklage: dass Galilei ein Werk verteidigt hatte, das schon früher als im Widerspruch zur Bibel stehend erklärt wurde. Nachdem sich die Verhöre in die Länge zogen, befand man ihn für schuldig, verlangte von ihm, dem verurteilten Weltbild abzuschwören, und verurteilte ihn zu Hausarrest auf Lebenszeit. In seinem Brief an Castelli, der Augustinus widerhallen lässt, hatte Galilei geschrieben, dass die Klugheit allein diktieren solle, dass sich die Theologen nicht unwiderruflich auf eine Interpretation der Bibel in Bezug auf die Natur festlegen sollten, wo doch das Gegenteil später möglicherweise durch den »Verstand oder durch Beweise« bewiesen werden könnte. Wie recht er damit behalten sollte!
Theologie und Philosophie werfen Fragen auf, die über die von der Wissenschaft gestellten hinausgehen: »Wenn Gott Raum und Zeit schuf, wo ist Gott da gewesen?«, »Gab es vor der Schöpfung irgendeine Zeitrechnung?«. Schwierige Fragen tauchen darüber hinaus bei unserem Verständnis von Freiheit und Determinismus, von Unendlichkeit und Ewigkeit auf. Sind das bloße Weiterführungen unserer gegenwärtigen Einsicht in Raum und Zeit oder gibt es bei diesen Abstraktionen eine gewisse objektive Realität? Unsere Weltbilder und physikalischen Beobachtungen und Messungen werden im Sinne von Raum und Zeit ausgedrückt, und wir müssen Konventionen zustimmen, nach denen das Wesen von Dingen, von Vorgängen, Veränderungen, Entwicklungen oder von Kontinuität vermittelt wird.
Werte in der Wissenschaft und in der Welt
Ein Sonnenuntergang kann als Folge der Lichtbrechung von Materieteilchen in der Luft beschrieben werden; ein Kuss als die gegenseitige Annäherung zweier Lippenpaare, gefolgt von der beiderseitigen Übertragung von Kohlenstoffdioxid und Mikroben, sowie als die Gegenüberstellung zweier Mundringmuskeln im Zustand der Kontraktion. Keine dieser beiden Schilderungen wird der Bedeutung und der subjektiven Wertschätzung der ästhetischen Schönheit eines prachtvollen Sonnenunterganges oder dem tiefen Sinn einer zärtlichen Umarmung gerecht. Es gibt damit verknüpfte Werte, die weit über das rein Materielle, über das Physische und Chemische oder andere wissenschaftliche Beschreibungen hinausreichen. Für Familien sind Kinder nicht nur Gegenstand der leiblichen Existenz oder mehr Mäuler, die es zu stopfen gilt, sondern Teil einer Gemeinschaft, die großen emotionalen, psychischen und spirituellen Wert auf Beziehungen legt. Ebenso sind gerade auch die Praxis und die Theorie der Wissenschaft mit Werten beladen.
Für die Darstellung, Überprüfung und Anwendung der Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung ist die Wahrheit von grundlegender Bedeutung. Die Wahrheit, die Genauigkeit und der Wille, nach Wahrheit und Erkenntnis zu streben, sind zum Wohl und Nutzen der Menschheit entscheidend für die Wissenschaft. Wissenschaftsgemeinden überprüfen und knöpfen sich die gegenseitigen Arbeiten vor, um die jeweilige Theorie zu bestätigen und das, was daraus folgt, mit dieser Studie abzusichern.
Wir fällen moralische Urteile über den Charakter und das Verhalten der anderen Menschen und loben oder tadeln Einzelne, Teams, Regierungen, Spendenorganisationen und die Unternehmen, für die wir arbeiten. Unsere Wertesysteme sind abhängig von unserem Menschenbild, unserem Weltbild, unserer Sicht, die wir in Bezug auf Wissen, Religion und Philosophie
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