Gott oder Zufall?
um Galileo Galilei? Ging es darum, dass die diskutierte Weltsicht den Menschen aus dem Zentrum des Universums verbannte? Weil sie im Widerspruch mit der Weltsicht von Aristoteles stand? Weil der Theologie Vorrang vor der Wissenschaft gebührte? Tatsächlich ging es um keinen dieser Gründe.
Galilei wurde von der Inquisition vor Gericht gestellt, weil er eine Bibelinterpretation verteidigt hatte, die von der Kirche nicht akzeptiert wurde. © © Art Archive/ www.picture-desk.com /Private Collection/Eileen Tweedy
Als Galilei sein neumodisches Fernrohr im Jahr 1609 in den Himmel richtete, war er erstaunt über das, was er dort erblickte. Vor allem zeigte die der Sonne zugewandte Seite der Venus, dass sie wohl nicht die Erde umkreisen konnte, wie die Systeme von Aristoteles und Ptolemäus behaupteten, bei denen die Erde im Zentrum stand. Was blieb also übrig? Galilei kannte das Werk
De Revolutionibus
von Kopernikus (1543), das die Sonne in den Mittelpunkt stellte, die von den Planeten, einschließlich der Erde, umkreist wird. Anscheinend war das die naheliegende Antwort. Doch es zeichneten sich Schwierigkeiten ab: Wenn sich die Erde in Bewegung setzte, widersprach das dem gesunden Menschenverstand ebenso wie der damaligen allgemein anerkannten aristotelischen Physik. Und Galilei wurde bald daran erinnert, dass die wörtliche Auslegung jener Bibelstellen, die eine Bewegung der Sonne oder eine unbewegliche Erde erwähnen, die alternative Sichtweise von Kopernikus ausschlossen. Katholische Bibelgelehrte hatten das tatsächlich schon seit einiger Zeit behauptet.
In einem besorgten Brief an seinen Freund Benedetto Castelli vertrat Galilei die Meinung, dass die theologische Kritik am kopernikanischen Weltbild falsch sei. Erstens hätten die Verfasser der Bibel ihre Sprache an die Aufnahmefähigkeit des einfachen Volkes angepasst. (Dieses Prinzip hatte in der mittelalterlichen Theologie Schule gemacht.) Zweitens böte sich die Bibel für vielfältige Interpretationen an; wenn also eine bestimmte Interpretation mit der »erforderlichen Darstellung« hinsichtlich der Natur kollidiere, sollte nach einer anderen Interpretation gesucht werden. Drittens erstrecke sich die Autorität der Bibel nur auf Angelegenheiten des Glaubens und nicht auf Gegenstände, die dem menschlichen Verstand zugänglich seien, wie etwa die Astronomie.
Eine Abschrift des Briefes wurde von einem Kritiker Galileis 1615 nach Rom gesandt. Um die Dinge noch komplizierter zu machen, publizierte ein angesehener Theologe, Paolo Foscarini, ebenfalls eine kleine Schrift, die das kopernikanische Weltbild gegenüber theologischen Angriffen verteidigte. Kardinal Robert Bellarmine, der führende Theologe Roms, schrieb an Foscarini und damit indirekt auch an Galilei. Er wies beide darauf hin, dass das Konzil von Trient verboten hatte, die Bibel in einem Sinne auszulegen – so wie sie es taten –, der dem der Kirchenväter widersprach. Sogar die Aussage, dass Abraham zwei Söhne gehabt habe, sagte er, sei eine Angelegenheit, wie das Wort Gottes auszulegen sei. Nach Rücksprache mit einer Kommission theologischer Berater erklärte die Index-Kongregation 1616, die kopernikanischen Thesen seien »falsch und widersprechen der Heiligen Schrift«. Galilei wurde von Bellarmine unter vier Augen verwarnt, sie aufzugeben. Falls er sich widersetze, habe er mit einer spezielleren Verfügung zu rechnen. Bellarmine meldete dem Heiligen Offizium, dass Galilei zugestimmt habe.
Was hierbei auf dem Spiel stand – wie die Theologen es sahen –, war die Unversehrtheit der Bibel. Die protestantische Reformation hatte ein Jahrhundert zuvor sowohl bei protestantischen als auch bei katholischen Theologen zu einem neuen Schwerpunkt geführt: die wörtliche Auslegung der Heiligen Schrift, ihr Literalsinn. Im Laufe seiner ganzen Karriere hatte sich insbesondere Bellarmine als standhafter Verteidiger einer wörtlichen Auslegung erwiesen. Ferner betrachteten sich die Theologen selbst als auf der Seite der damaligen Wissenschaft stehend – und nicht als ihre Gegner: Ihre Kollegen aus der Naturphilosophie hatten sich noch nicht mit der neuen Weltsicht abgefunden. Die mathematische Astronomie war für sie noch immer nicht mehr als ein Behelf, um die Bewegung der Planeten zu berechnen.
Im Jahre 1624 erlaubte der neue Papst Urban VIII ., ein Bewunderer von Galilei, dem Astronomen, ein Werk über die kopernikanische Astronomie zu veröffentlichen – unter der
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