Gott oder Zufall?
weist etliche Elemente auf, die miteinander in Verbindung stehen. Das erste ist der Glaube, dass die Geschichte einen unwiderlegbaren Beweis von der Unvermeidbarkeit des Konflikts zwischen Wissenschaft und Religion biete. Das zweite ist die Vorstellung, »Wissenschaft« und »Religion« seien eigenständige menschliche Unternehmungen mit genauen Grenzen, die sich mit der Zeit nur wenig verschieben. Das dritte ist die Überzeugung, Wissenschaft und Religion seien bestrebt, Erklärungen für dieselben Phänomene anzubieten, und demzufolge sei ein Konflikt unausweichlich.
Die wichtigsten Vorfälle in der Geschichte, die der Konflikttheorie Plausibilität verleihen, sind der Prozess gegen Galileo im Jahr 1632 und die Rezeption der Vorstellungen Darwins über die Evolution in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Eine nähere Untersuchung dieser Vorfälle offenbart jedoch ein komplizierteres Bild. Im Falle Galileos wird deutlich, dass die katholische Kirche den wissenschaftlichen Konsens der damaligen Zeit bestätigte und dass daher ihre Position nicht per se als antiwissenschaftlich charakterisiert werden kann. Darüber hinaus war die Affäre um Galileo keineswegs typisch für die religiösen Einstellungen gegenüber der Wissenschaft, da die katholische Kirche die wichtigste Förderin der astronomischen Forschung in dieser Epoche war. Und wenn wir ins 19. Jahrhundert kommen, stimmt es zwar, dass Darwins Ideen religiöse Gegenwehr hervorriefen. Doch in manchen religiösen Kreisen erfuhren ebendiese Ideen starke Unterstützung, während sie andererseits von einigen angesehenen wissenschaftlichen Autoritäten anfangs kritisiert wurden. Die Beispiele von Galileo und Darwin unterstützen also nicht eindeutig die Konflikttheorie.
Außerdem ist es wichtig, eine umfassendere historische Perspektive zu berücksichtigen, bei der religiöse Vorstellungen und Institutionen eine bedeutende und konstruktive Rolle spielten, zu wissenschaftlichen Untersuchungen zu ermuntern und zu ermächtigen. Es ist glaubhaft dargelegt worden, dass die Religion eine notwendige (wenn auch nicht hinreichende) Bedingung für das Aufkommen der modernen Wissenschaft im Westen gewesen war. Dementsprechend sind sich die Historiker derzeit einig, dass die Geschichte der Beziehungen zwischen Wissenschaft und Religion zu komplex ist, um in die simple Schablone eines unablässigen Konfliktes zu passen.
Zu der Komplexität dieses Bildes gesellt sich der Fakt, dass sich die Grenzen zwischen Wissenschaft und Religion im Lauf der Zeit in gewisser Weise verschoben haben. Während sich das Studium der Natur im Westen lange Zeit mit naturalistischen Erklärungen befasst hat, hielt man diese Erklärungsmuster in der Vergangenheit oftmals von tiefer theologischer Bedeutung. Die Religion war sozusagen manchmal untrennbar mit der »Wissenschaft« verbunden. Daher ist es ein Irrtum, anzunehmen, dass Wissenschaft und Religion in allen Epochen der Geschichte voneinander getrennte Vorhaben – so wie heute – waren.
Von da ausgehend meinen Befürworter der Konflikttheorie im Allgemeinen, dass Wissenschaft und Religion auf demselben intellektuellen Gebiet miteinander konkurrierten. Von der Religion glaubt man, sie biete erklärende Hypothesen, die unmittelbar mit wissenschaftlichen Theorien konkurrierten. Die Schöpfungslehre – um nur mal eines der wichtigsten Beispiele herauszugreifen – wird als auf einer Stufe stehend mit den wissenschaftlichen Darstellungen über den Ursprung des Menschen betrachtet. Aus dieser Auffassung folgt dann notwendigerweise der unvermeidliche Kampf zwischen Wissenschaft und Religion. Eine weitere Annahme dieser Sichtweise ist, dass mit dem Fortschreiten der Menschheit die Erklärungen der Wissenschaft letztlich über die religiösen triumphieren werden. Obwohl natürlich wissenschaftliche Theorien Auswirkungen auf religiöse Glaubenslehren haben können und umgekehrt, wird der Gedanke, religiöse Vorstellungen seien bloße plumpe wissenschaftliche Hypothesen, dem Wesen der religiösen Überzeugung nicht gerecht.
Mit einem Wort: Seit ihrer Grundlegung im 19. Jahrhundert hat die Konflikttheorie nicht aufgehört, Anhänger anzuziehen und landläufige Auffassungen über das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Religion zu prägen. Dennoch vereinfacht sie die Dinge in begrifflicher Hinsicht allzu sehr und stimmt nicht mit den historischen Tatsachen überein.
Die Affäre Galileo Galilei ⬅
Worum ging es überhaupt bei der Affäre
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