Gott oder Zufall?
»Wissenschaft« durch die Zeiten und Kulturen hindurch beträchtlich gewandelt hat.
Zweitens finden sich antike Sichtweisen in der Bibel selbst. Die biblischen Verfasser stützten sich auf in ihrer Umwelt vorhandene wissenschaftliche Perspektiven, um von der Bedeutung Gottes und von seinem Wirken in der Welt zu sprechen.
Drittens hilft uns die derzeitige wissenschaftliche Forschung dabei, zu entdecken, wie die Welt der Bibel eher bei den biblischen Verfassern selbst anzusiedeln ist.
Jede einzelne dieser drei Punkte verweist auf eine einzige unausweichliche Schlussfolgerung – nicht
ob
die Wissenschaft in Betracht gezogen wird, sondern:
welche
Wissenschaft?
Wessen
Wissenschaft? Können sich bestimmte wissenschaftliche Perspektiven als »zeitlose Wahrheiten« präsentieren?
Die Kosmologie der Antike
Die Theorie aus dem Alten Testament von einem materiellen Universum (das heißt seine »Kosmologie«) hat vieles gemeinsam mit der Gedankenwelt anderer Völker der Antike. Dieses gemeinsame Verständnis vom Aufbau und von wesentlichen Bestandteilen des Universums ist uns durch zahlreiche Texte aus dem alten Mesopotamien und Ägypten wie auch aus einigen Texten des Alten Testaments bekannt. Obwohl es Unterschiede zwischen der mesopotamischen und der ägyptischen Kosmologie gab (eine deutlich abgegrenzte kanaanitische Kosmologie ist uns nicht überliefert), stellen die gemeinsamen Elemente eine Dreiteilung des gesamten Kosmos dar. Erstens hielt man einen gewölbten Himmel für das Domizil der wichtigsten Gottheiten. Manchmal wurde dieses »Firmament« oder die Kuppel selbst noch einmal unterteilt in drei Bereiche. Über der Kuppel befand sich das kosmische Wasser, das daran gehindert werden musste, die Erde zu überfluten. Zweitens wurde die Erde als Heimstatt von Göttern und Menschen betrachtet und bisweilen auch in drei Bereiche eingeteilt. Schließlich gab es da noch die Unterwelt als Aufenthaltsort weiterer Gottheiten, von denen manche bösartig waren; außerdem war dies in den meisten Fällen der Ort für die Verstorbenen unter den Menschen. Dieser letzte Punkt ist einer der Unterschiede zu den Ägyptern, die sich dennoch ein Universum aus drei Scheiben mit zwei Sphären dazwischen vorstellten: Himmel, Erde und Unterwelt.
Die Schöpfung, wie sie in der von Martin Luther übersetzten Bibel von 1534 dargestellt wird © © Alamy/The Art Gallery Collection
Gemeinsam mit dieser allgemeinen Darstellung war den alten Israeliten, dass sie die Welt für eine flache Scheibe mit Bergen an ihren Rändern hielten, die einen mehrschichtigen Himmel oder ein kuppelförmiges Firmament abstützten. Sonne, Mond und Sterne durchzogen dieses Firmament in einem regelmäßigen und vorhersagbaren Muster. Das Firmament hatte Kammern, durch die das Wasser von oben als Regen herunterkam. Unterhalb der sichtbaren flachen Erde existierte ein zweiter Erdbereich, das Jenseits, der Aufenthaltsort der Toten. Unterhalb der Erde gab es noch mehr Wasser, und das Wasser um die ganze Konstellation herum bildete das kosmische Meer, so dass die bewohnte Welt eine Blase im kosmischen Wasser war.
In der Bibel finden wir diese Kosmologie besonders deutlich im Schöpfungsbericht von Genesis 1 dargestellt, wo Gott das Gewölbe am zweiten Tag als »Himmel« erschafft, um das Wasser von dem zu trennen, was sich darunter befand (Genesis 1,8), und am dritten Tag das Trockene als »Erde« und das unterhalb des Gewölbes gesammelte Wasser als »Meer« (1, 10). Somit ist der Ausdruck »Himmel und Erde« (1,1 und 2,4) eine Redefigur, mit der mit dem Hinweis auf seine Bestandteile auf einen einzigen Gegenstand verwiesen wird. »Himmel und Erde« bezeichnen hier sämtliche beobachtbaren kosmischen Phänomene, nämlich das Universum, für das es im biblischen Hebräisch kein eigenes Wort gibt. In der Geschichte über die Sintflut in Genesis 6, 9 – 9, 29 erfahren wir, dass das Himmelsgewölbe fensterartige »Schleusen« hat, was zusammen mit den sprudelnden Quellen aus dem Meer darunter in die Katastrophe führt: »An diesem Tag brachen alle Quellen der gewaltigen Urflut auf, und die Schleusen des Himmels öffneten sich« (7, 11). Auf ähnliche Weise können die drei Abteilungen des Universums im Hinblick auf das biblische Verbot der Götzenverehrung betrachtet werden: »Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde« (Exodus 20, 4; vgl. Deuteronomium
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