Gott oder Zufall?
sich auf eine spezielle Auslegung der Schöpfungsgeschichte stützt – und nichtbiblische Informationen ausspart © © Corbis/Ian Trower/ JAI
»Wissenschaft« selbst ist nicht einfach zu definieren, doch im Allgemeinen bezeichnet man mit diesem Begriff heute die in verschiedene Disziplinen aufgeteilte, systematische Untersuchung des Universums durch Beweismaterial, das durch einen oder mehrere der fünf Sinne – Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten – und/oder durch ihre entsprechenden Umwandlungen gewonnen wurde. Bei einer solchen Sicht gibt es in der »Wissenschaft« keinen Raum für Gott. Denn schließt nicht – per definitionem – ein einäugiger Blick auf die Natur das Übernatürliche aus? Diese Denkweise, so argumentiert man, verortet Gott außerhalb der wissenschaftlichen Bühne, auch wenn sie die Möglichkeit nicht absolut ausschließt, dass die Wissenschaft uns etwas über Gott, über seine Eigenschaften und seine Wege zu berichten weiß. Daher war die Verknüpfung der beiden Bücher Gottes – der Bibel und der Welt der Natur – fester Bestandteil in der Denkweise derjenigen, die die neue Wissenschaft befürworteten und betrieben, die sich in den 1600ern herausbildete.
Im Vorwort seiner Veröffentlichung
The Anatomy of the Brain
aus dem Jahre 1664 verglich Willis seinen Seziertisch mit dem »hochheiligen Altar Deiner Gnade« – wobei »Deine Gnade« eine Anspielung auf Gilbert Sheldon, den Erzbischof von Canterbury, war, dem er sein Werk widmete. Willis fährt fort und bezeichnet seine Forschungen als Untersuchung der »Pandekten der Natur, wie ein weiteres Verzeichnis des Göttlichen Wortes und der so bedeutenden Bibel: denn tatsächlich – in keinem der beiden Bücher existiert ein Höhepunkt, der nicht die Achtsamkeit eines Deuters voraussetzt oder dessen Eifer zurückweist; es gibt mit Sicherheit keine einzige Seite, die nicht ihren Urheber und seine Macht, seine Güte, sein Vertrauen und seine Weisheit offenbart.«
Wenn Gott die Welt erschaffen hat, ist es nur konsequent, dass etwas von seinem Wesen (und damit auch von seiner Macht, seiner Güte, Treue und Weisheit) in der Schöpfung offen sichtbar zutage treten müsste. Somit gibt es für den Theologen Alister McGrath (*1953) zwei Methoden, Gott zu erfahren und kennenzulernen – über die natürliche Ordnung und über die Bibel –, wobei der zweite Weg eindeutiger und vollkommener als der erste ist.
Für unsere Vorfahren wurzelte diese Art, die Bedeutung der natürlichen Ordnung auszulegen, in der »natürlichen Theologie« des Apostels Paulus, die ganz besonders im ersten Kapitel seines Briefes an die Römer ins Blickfeld rückt. Dort schreibt er:
Denn was man von Gott erkennen kann, ist ihnen offenbar; Gott hat es ihnen offenbart. Seit Erschaffung der Welt wird seine unsichtbare Wirklichkeit an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen, seine ewige Macht und Gottheit. Daher sind sie unentschuldbar.
Römer 1,19–20
Die Bedeutung der Aussage von Paulus wird beim Vergleich zwei weiterer Texte noch betont – der erste stammt aus dem Alten Testament, der zweite aus einer jüdischen Schrift aus dem 1. Jahrhundert vor Christus, genannt die Sprüche Salomos oder einfach nur das Buch der Weisheit:
Eine Anatomie-Lektion für Künstler, von der Schule von Pietro Longhi, frühes 18. Jahrhundert © © Art Archive/ www.picture-desk.com /Galleria Borghese Rome/Collection Dagli Orti
Psalm 19,2–7
Die Himmel rühmen die Herrlichkeit Gottes, vom Werk seiner Hände kündet das Firmament. Ein Tag sagt es dem andern, eine Nacht tut es der andern kund, ohne Worte und ohne Reden, unhörbar bleibt ihre Stimme. Doch ihre Botschaft geht in die ganze Welt hinaus, ihre Kunde bis zu den Enden der Erde. Dort hat er der Sonne ein Zelt gebaut. Sie tritt aus ihrem Gemach hervor wie ein Bräutigam; sie frohlockt wie ein Held und läuft ihre Bahn. Am einen Ende des Himmels geht sie auf und läuft bis ans andere Ende; nichts kann sich vor ihrer Glut verbergen.
Der wundervolle See Genezareth. Gott hat sich selbst in einem »Buch der Werke« (Schöpfung) und in einem »Buch der Worte« (Bibel) offenbart. © © Corbis/Dave G. Houser
Buch der Weisheit 13,1–7
Töricht waren von Natur alle Menschen, denen die Gotteserkenntnis fehlte. Sie hatten die Welt in ihrer Vollkommenheit vor Augen, ohne den wahrhaft Seienden erkennen zu können. Beim Anblick der Werke erkannten
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