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Gott oder Zufall?

Gott oder Zufall?

Titel: Gott oder Zufall? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. J. Berry
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5, 8). Auf diese alte Kosmologie wird an anderer Stelle in der Bibel nur indirekt hingewiesen – in einigen wenigen Passagen, wie bei der Auferweckung des Propheten Samuel durch den Geist in Endor, wo geschildert wird, wie der verstorbene Prophet aus der Unterwelt wieder aufersteht (1 Samuel 28,8, 11, 13, 15). An anderer Stelle werden diese Vorstellungen nur indirekt erwähnt.
    Solche Überzeugungen über den Kosmos sollten aber nicht als »primitiv« oder »unaufgeklärt« abgetan werden. Sie stellten vielmehr antike Kosmologien dar, die die phänomenologische Welt nach Antworten auf die großen Fragen des Lebens untersuchten. Diese Fragen fanden zufriedenstellende Antworten in der Position und im Plan Gottes (oder der Götter) bei der Schöpfung des Weltalls als Wohnstatt der Menschen. Die heutigen wissenschaftlichen Kosmologien verfolgen einen ganz anderen Ansatz, da die moderne Wissenschaft sich selbst bewusst auf die physikalischen und mechanischen Eigenschaften des Universums beschränkt. Diese Unterschiede sind weniger widersprüchlich als vielmehr komplementär – wegen ihrer unterschiedlichen Intentionen, die sie verfolgen. Die Wissenschaft heute behandelt das
Wie
des Physikalischen, während die Kosmologien der antiken Wissenschaft darüber hinaus die Frage nach dem
Warum
des Funktionalen stellten.
    Wir bringen die Wissenschaft zur Bibel
    Wer die Bibel interpretierte, las die Heilige Schrift unweigerlich aus einer Perspektive, die von seinem jeweiligen wissenschaftlichen Blickwinkel geformt war. Egal, ob er das zugab oder nicht, es stimmt jedenfalls; und es macht es oftmals schwierig, sich Klarheit darüber zu verschaffen, ob eine bestimmte Interpretation eines biblischen Textes daher rührt, dass eine wissenschaftliche Sichtweise aus der Bibel herausgelesen oder in sie hineingelesen wird. So ist es in der Geschichte der christlichen Theologie manchmal tatsächlich vorgekommen, dass traditionelle und von der Kirche geförderte Ansichten über das, was die Bibel sagt, mit der Lehre der Bibel selbst verwechselt wurden. Wenn wir eine bestimmte Deutung eines biblischen Textes schon seit so langer Zeit hören, können wir uns gar nicht vorstellen, dass er vielleicht auch auf irgendeine andere Weise verstanden werden könnte. Das kann uns an die Spannung erinnern, die wir manchmal in den Evangelien vorfinden, wo Jesus und seine Zeitgenossen zwar wissen, wie wichtig die heiligen Schriften Israels sind, sich aber in eine Diskussion verwickelt haben, wie diese Schriften am besten auszulegen seien.
    Heute ist leicht festzustellen, dass die Debatte der 1600er Jahre über die Frage, ob der Kosmos um die Erde kreise, tatsächlich eine Debatte über konkurrierende wissenschaftliche Beschreibungen des Universums gewesen war. Und dies war nun ein Fall, bei dem sich ein wissenschaftliches Weltbild so mit dem kirchlichen Bibelverständnis verstrickte, dass ein Infragestellen dieser wissenschaftlichen Anschauung praktisch wie ein Infragestellen der Bibel zu sein schien. Heute leuchtet es uns ein, dass die Bibel nicht lehrt, dass die Sterne und Planeten um die Erde kreisen. Dennoch wurden auf der Grundlage einer solchen wissenschaftlichen Sicht bestimmte Bibeltexte genau auf diese Weise interpretiert (zum Beispiel durch die Psalmen 19,5–6; 96,10) und dann zugunsten der traditionellen Wissenschaft ausgewertet. Die Folge davon war, dass für viele Menschen der christliche Glaube selbst durch die Entdeckungen der Wissenschaft anscheinend unglaubwürdig geworden war.
    Ein Beispiel aus eher moderner Zeit betrifft das Wesen der Person des Menschen. Unter den christlichen Theologen können wir heute zwei allgemeine Positionen ausmachen. Die traditionelle Auffassung besagt, dass Menschen einen Körper und eine Seele besitzen, wobei die Seele als die eigentliche, die wesenhafte Person bezeichnet wird; das nennt man Leib-Seele-»Dualismus«. Die zweite weitverbreite Auffassung ist eine ebenfalls klassische Position, die durch die gesamte Kirchengeschichte hindurch vertreten wurde – dennoch ist es eine Minderheitenposition geblieben. Dabei handelt es sich um eine gewisse Form des »Monismus« : die Ansicht, dass menschliche Eigenschaften und Besonderheiten ohne Rückgriff auf ein zweites Element wie eine Seele oder einen Geist erklärt werden können. Wissenschaftliche Erkenntnisse weisen stark in Richtung einer monistischen Perspektive, da die empirischen Beweise zunehmend eine Geist-Gehirn-Verbindung stützen. Die meisten

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