Gott oder Zufall?
als wissenschaftliche Probleme der Bibel bezeichnen würden; um mit diesen Problemen umzugehen, verfügten sie über hermeneutische Auswege. Wir würden sogar so weit gehen und behaupten, dass sie Interpretationsabsprachen getroffen haben mussten, um sich auf die Spannungen zwischen wissenschaftlichen Entdeckungen und ihrem Verständnis der Bibel einzulassen. Jüdische Historiker des ersten Jahrhunderts bezeichneten Abraham als Vater der Astronomie und der Mathematik, teilweise um Vorstellungen entgegenzuwirken, dass es Israels Heiligen Schriften an wissenschaftlichem Bewusstsein mangele. Frühe Gegner der christlichen Bewegung versuchten, durch die Verwendung empirischer Methoden wissenschaftliche Aussagen der Bibel zu widerlegen. Im zweiten Jahrhundert kam Celsius zu dem Schluss, dass Noahs Arche zu klein gewesen sein musste, um all die Tiere aufzunehmen, die angeblich vor der Sintflut gerettet worden sein sollten. Doch christliche Gelehrte stützten sich besonders auf zwei Deutungswerkzeuge, um diesen Angriffen entgegenzutreten.
Zunächst interpretierten Origenes (185–254) und seine Nachfolger problematische Texte auf allegorische Weise. Für Origenes bezogen sich solche Texte nicht so sehr auf Realitäten in einem wörtlichen Sinne, sondern auf innere spirituelle Phänomene. Zweitens entwickelten die Kirchenväter und jüdische Deuter »Anpassungs«-Theorien. Nach dieser Perspektive
passte
Gott seine Schilderung natürlicher Ereignisse der Sprache, den Vorstellungen und den Prinzipien
an,
die von den Menschen in der Antike verstanden werden konnten. Kurz gesagt: Es ging nie darum, ob die Bibel geeignet war, die Welt – die uns durch unsere fünf Sinne bekannt ist – zu verstehen, sondern vielmehr darum, wie biblische Texte am besten nachvollzogen werden konnten, um über die Welt Aufschluss zu geben, die Gott erschaffen hatte.
Eine weitere Beobachtung, die für uns möglicherweise schwer zu begreifen ist: Diese alternativen Lesarten biblischer Texte widersprechen gerade nicht der »literalen«, der wortgetreuen Auslegung jener, die meinten, sie zu verstehen. Heute neigen wir dazu, »literal« in historischer, in realer Hinsicht zu verstehen. Vielen von uns ist beigebracht worden, biblische Texte hätten nur eine einzige Bedeutung. Wir wären daher überrascht, zu erfahren, wie wenig sich die früheren Deuter um eine einzige »wahre« Bedeutung kümmerten; sie widmeten sich vielmehr den vielen Wegen, auf denen der eine Gott in und durch diese Texte gesprochen haben könnte. Unsere modernen Definitionen von »literal«, von »wörtlich«, hätte man nicht übernommen. Die Bibel in einem »wörtlichen« Sinne zu lesen wäre für manche Interpretatoren der Vergangenheit zwar nicht die Welt der Ereignisse gewesen, wie sie von diesen Texten geschildert wurde, sie hätten aber über das Wesen Gottes und über das Leben vor Gott etwas erfahren.
Die wörtliche Bedeutung war nie auf einen verbalen, philologischen Anspruch allein beschränkt gewesen, sondern wirkte für Juden wie für Christen als »gelenkte Interpretation«, bei der ein Gleichgewicht zwischen einem grammatikalischen Verständnis und dem Aufbau einer gemeinschaftlichen Praxis oder einer »Glaubensregel« (regula fidei) geschaffen wurde.
Brevard Childs, »Towards Recovering Theological Exegesis« (1997)
Doch trotz der Art und Weise, wie die Debatte heute manchmal verstanden wird, geht es bei der Geschichte der Bibelinterpretation nicht um einen anhaltenden Kampf zwischen wörtlicher und nicht-wörtlicher Auslegung der Heiligen Schrift.
Wissenschaft, Bibel und christliche Theologie
Weshalb sollten Christen der Wissenschaft Rechenschaft über Gottes Welt ablegen, so wie sie sie verstehen? Das ist eine wichtige Frage wegen der Ungezwungenheit, mit der manche die Erkenntnisse der Wissenschaft ablehnen, wenn diese der reinen Lehre der Bibel zu widersprechen scheinen. Wenn sie mit wissenschaftlichen Fakten konfrontiert werden, die offenbar mit dem Zeugnis der Bibel konkurrieren, dann sei das – so entgegnen sie – umso schlimmer für die Wissenschaft. Wenn Wissenschaft und christlicher Glaube zueinander in einem Spannungsverhältnis stehen, dann müsse der christliche Glaube die Wissenschaft übertrumpfen. Und andere leugnen einfach, dass wahre Erkenntnis Gottes durch die Welt der Natur erreichbar sei, denn in Wirklichkeit widersprächen Bibel und Theologie einer solchen Ablehnung von Wissenschaft.
Das Noah’s Ark Centre in Hongkong, das
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