Gott oder Zufall?
19. Jahrhunderts glaubten nur sehr wenige Bibelgelehrte, dass der Schöpfungsbericht aus Genesis 1 ein wortgetreuer Bericht sei.
Die HMS
Beagle
am 17. Oktober 1835 vor den Galapagos-Inseln © © Chancellor Dr. Gordon/flickr
Charles Darwins Paleysche Vorstellungen wurden während der fünf Jahre (1831–1836) in Frage gestellt, in denen er als Naturforscher an Bord der HMS
Beagle
rund um die Welt segelte. Er sah, wie sich entlang der Küste Südamerikas Tierarten gegenseitig ablösten und wie Fossilien oftmals lebenden Formen ähnelten, aber in Details von ihnen abwichen. Dennoch hielt er an einem mehr oder weniger »traditionellen« Schöpfungsglauben fest. Der Auslöser, der zu einem Wechsel seiner Ansichten darüber führte, ist offenbar ein Gespräch im März 1837 gewesen, das er mit dem Ornithologen im Londoner Zoo, John Gould, führte. Ihm vertraute Darwin die Vogelexemplare an, die er während seiner Reise auf der
Beagle
gesammelt hatte. Goulds Entdeckung, dass die Spottdrosseln auf den Galapagos-Inseln eine ganz neue Gruppe darstellten, die nur auf diesen Inseln vorkam, zwang Darwin dazu, seine frühere Annahme einer statischen Welt zu überdenken. In einer Anmerkung notierte er: »… so ist die Zoologie des Archipels wohl der Untersuchung wert, denn solche Tatsachen würden die Stabilität der Arten in Frage stellen.«
Darwin brachte seine Gedanken über die Evolution zuerst im Jahr 1842 zu Papier. Seit 1844 war er sich hinreichend sicher, um einen 200-seitigen »Essay« zu schreiben, der später das Herzstück der 1859 veröffentlichten
Entstehung der Arten
bildete. Sein Ausgangspunkt war eine der Überzeugungen Paleys, dass der Schöpfer bei seinem Schöpfungswerk Gesetze anwandte. Darwin berief sich auf einen ganz simplen Mechanismus, der auf drei Fakten und zwei Folgerungen basiert. Er fing mit der Beobachtung an, dass praktisch alle Arten ein großes Potenzial besitzen, sich zahlenmäßig zu vermehren (man denke an die von einer Eiche produzierte Anzahl von Eicheln oder die ungeheuren Mengen von Froschlaich, der von jedem weiblichen Frosch produziert wird), doch (zweite Beobachtung) bleiben die Zahlen annähernd konstant. Daraus folgt, dass es einen
Kampf ums Dasein
geben müsse, bei dem nur ein Teil der Jungen überlebte. Die Existenz eines solchen Kampfes ist im Wesentlichen eine ökologische Folgerung und eine, die man zu Darwins Zeiten verstanden hat. Sie drängte sich Darwins Bewusstsein auf, als er 1838 »zum Spaß«
Das Bevölkerungsgesetz
von Thomas Malthus las. Darin wird das Schreckgespenst einer Bevölkerung dargestellt, für die das Angebot an Nahrungsmitteln nicht mehr ausreicht, was zum Unterliegen der Schwachen im Kampf um die Rohstoffe führte. Darwins Genius verknüpfte diesen ständigen Kampf ums Dasein mit einem dritten Faktum: mit vererbbaren Veränderungen. Wenn nur ein kleiner Teil der Population den Kampf überlebt, ist es sehr wahrscheinlich, dass zu ihm eine erhöhte Quote gehört, die irgendein Merkmal besitzt, das ihr einen gewissen Überlebensvorteil einräumt. Im Laufe der Generationen werden die, die ein solches Merkmal tragen, auf Kosten derer zunehmen, denen es fehlt. Es wird zu einer genetischen Veränderung in der Population kommen, die auf eine
natürliche Selektion
des besagten Merkmals hinausläuft.
Die Tatsache eines evolutionären Wandels wurde schnell akzeptiert. So viele Sachverhalte ließen sich damit erklären: in der vergleichenden Anatomie und Physiologie, bei der Klassifikation, bei der geographischen Verteilung, bei der Verwandtschaft der Fossilien.
Die Entstehung der Arten
erhielt 1848 ein gültiges Imprimatur, als Frederick Temple (der bald darauf Erzbischof von Canterbury werden sollte) erklärte: »[Gott] hat die Dinge nicht erschaffen, lässt sich feststellen; nein, aber Er richtete es ein, dass sie sich selbst erschufen.« Im Licht der künftigen Geschichte wurden Darwins Ideen paradoxerweise eher von konservativen als von liberalen Theologen bereitwillig übernommen, offenbar aufgrund der strengeren Lehre der Vorsehung der erstgenannten.
Der sich vegetarisch ernährende Darwinfink
(Geospiza crassirostris),
eine der vierzehn verwandten Finkenarten, die nur auf den Galapagos-Inseln vorkommen © © Corbis/Frans Lanting
Viele Autoren der zwischen 1910 und 1915 aufgelegten Schriftenreihe
The Fundamentals,
in der die »fundamentalen Einstellungen« der protestantischen Theologie ausgeführt werden sollten und
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