Gott oder Zufall?
frühen Kirchenvätern und jüdischen Kommentatoren beschrieben wurde, konzentriert sich eher auf metaphorische und symbolische Interpretationen. Die Reformation stand hingegen in einem Zusammenhang mit einer Reaktion gegen eindeutig symbolische Interpretationen der Bibel, so dass die ersten Kapitel der Genesis eher als wortwörtliche Darstellung zu betrachten seien, zum Beispiel in den Schriften Luthers – dass Gott das Universum durch göttliches Gebot in einem Zeitraum von sechs hektischen Tagen vor etwa 6000 Jahren erschaffen habe. Da man nichts über das Alter der Erde wusste, nichts von Fossilien und auch nichts über die Beziehungen zwischen den Tieren und Pflanzen, gab es keinen Grund, anders zu denken.
Charles Darwin (1809–1882) auf einem Gemälde, das ein Jahr vor seinem Tod entstanden ist © © Corbis/Andy Rain
Erzbischof Usshers meistzitierte Berechnung (die noch immer in älteren Bibeln auftaucht), dass die Schöpfung 4004 vor Christus stattfand, beruhte größtenteils auf den Stammbäumen in der Bibel, besonders in Matthäus 1,1–17 und Lukas 3, 23–38. Usshers Datierung ähnelte in der Tat vielen anderen. Die Kommentatoren der frühen Kirche glaubten, dass Adam am sechsten Tag nach dem Anfang erschaffen wurde und dass Jesus im 6000. Jahr wiederkäme. Die Äthiopische Kirche datiert die Schöpfung auf das Jahr 5493 vor Christus; Beda Venerabilis setzte sie im 8. Jahrhundert nach Christus auf 3952 vor Christus fest, und Luther dachte, sie habe sich 3961 vor Christus ereignet. All diese Jahreszahlen müssen als suspekt betrachtet werden, nicht zuletzt deshalb, weil ein Vergleich der bei ihren Berechnungen verwendeten Stammbäume zeigt, dass bei manchen von ihnen Personen ausgelassen wurden, die bei anderen erwähnt werden. Bei der Datierung der Schöpfung geht es darum, wie man die Bibel am besten interpretiert, sowie um die Frage danach, wie die »sechs Tage« vom Schöpfungswerk Gottes zu verstehen sind.
Der biblische Schöpfungsbericht ist als dramatische Erzählung zu betrachten, die eine bildliche Darstellung jener Dinge bietet, die nicht verstanden werden könnten, wenn man sie mit der umständlichen Genauigkeit der Wissenschaft beschreiben würde. Gerade in diesem bildhaften Stil soll die Weisheit Gottes in der Inspiration der Schrift deutlich dargelegt werden. Nur ein auf diese Weise präsentierter Bericht konnte die Anforderungen aller Zeiten erfüllen.
Ernest Kevan, New Bible Commentary (1953)
Wenn wir uns unsere Welt anschauen und über unsere eigene Existenz nachsinnen, ist es ganz natürlich, eher darüber zu reflektieren, warum etwas existiert, als darüber, warum es nicht existiert. Wir suchen nach Erklärungen auf die Fragen, woher wir und die Welt kommen und wie die Welt und die Menschen entstanden sind. Die Bibel legt dafür den Rahmen fest, und sie beginnt mit den Worten: »Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde« (Genesis 1,1). Damit stellt sie fest, dass die Welt einen speziellen Anfangspunkt sowie ein von einem übernatürlichen, transzendenten, göttlichen Wesen vorgegebenes Ziel hat. Dieser Schöpfungsakt erfolgte aus dem Nichts
(ex nihilo),
und es wird uns nichts über irgendeine zuvor existierende Materie berichtet. Die stoffliche Realität und der Beginn der Welt hängen in ihrem Sein und Erhalt total von Gott ab. Ebenso ist die gesamte Schöpfung auf der Welt einschließlich des tierischen und menschlichen Lebens von Gott erschaffen worden, und sie wird von ihm in ihrem Dasein erhalten. Die Genesis soll keine moderne wissenschaftliche Darstellung sein, sondern vielmehr eine zeitlose, bildhafte Möglichkeit, um das Faktum, den Zweck und den Verlauf der Schöpfung zu erklären. Die Wissenschaftler von heute bieten ja selbst voneinander abweichende Darstellungen vom Anfang der Welt und der Menschheit an, und wir können nur glaubwürdige Hypothesen präsentieren. Wir haben keine direkte Erfahrung mit absoluten Anfängen (oder, eigentlich, mit absoluten Endpunkten).
Seit der Zeit von Aristoteles glaubten Wissenschaftler, dass die Welt einen Sinn bzw. Zweck habe. Diese Teleologie (die Lehre vom Zweck, Ziel oder Ende) einer jeden bestimmten Sache und von allem als Ganzem hieß, dass wir das, was in der Welt vor sich geht, verstehen können, dass wir darauf reagieren und uns darauf vorbereiten können. Die Wissenschaft in der Antike fragte nach dem Zwecke einer Sache und untersuchte dann, ob dieser Zweck erfüllt worden war. Dies führte zur
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