Gott oder Zufall?
Naturphilosophie bzw. zum Naturgesetz, das erklärte, was natürlich sei. Wenn etwas seine Funktion nicht erfüllte, konnten wir versuchen, ein richtiges Funktionieren wiederherzustellen – wie in der Medizin, wo wir bestrebt sind, das wieder geradezurücken, was mit dem Körper und seinen Funktionen schiefläuft. Dahinter steht der »Satz vom zureichenden Grund« (der ursprünglich vom deutschen Mathematiker Gottfried Leibniz stammte). Demnach gibt es eine gute Begründung, warum etwas ist, wie es ist oder geschieht, wie es der Fall ist. Wenn etwas seine Funktion nicht erfüllte, geschah auch das aus einem guten und zu entdeckenden Grund. Als Beispiel dient die Vererbung: Unsere genetische Ausstattung und ihr Zusammenspiel mit der Umwelt ermöglichen uns, zu verstehen, wer wir sind, was wir tun, was mit uns passiert und warum. Wir wissen zwar noch nicht, was alle Gene bewirken oder wie sie miteinander und mit der Umwelt interagieren, doch sind wir sicher, dass es etwas mit unserem genetischen Aufbau und seinen Wechselwirkungen zu tun hat, auch wenn wir nicht wissen, worin der Zweck besteht.
Während der »Aufklärung« im 18. Jahrhundert entdeckte man immer mehr über das Kausalprinzip in der materiellen Welt. All dies hatte keine unlösbaren Probleme zur Folge, solange Gott als die erste Ursache und als der Designer betrachtet werden konnte. Archidiakon Paley brachte das in seinen Schriften auf den Punkt. In seinem 1802 veröffentlichten Werk
Natural Theology
verglich er Gott mit einem Uhrmacher. Er schrieb, eine Uhr könne nicht aus Zufall entstanden sein, sie müsse entworfen, »designt« worden sein. Das war ein einleuchtendes Argument und wurde weithin akzeptiert, doch es zog Gott aus dem alltäglichen Eingebundensein in das Weltgeschehen heraus und verbannte seine Mitwirkung an die Anfänge der Weltentstehung. Theologisch gesprochen handelte es sich dabei um Deismus – nicht um Theismus.
Darwin bezeichnete Paleys Logik als »wenig überzeugend«. Er schrieb über seine Zeit als Student in Cambridge: »Das sorgfältige Studium dieser Werke [Paleys Schriften] … war der einzige Teil meines akademischen Studiums, der, wie ich damals fühlte und wie ich auch jetzt noch glaube, für die Erziehung meines Geistes von äußerst geringem Nutzen war.« Doch wissenschaftliche Entdeckungen führten bereits zu Unstimmigkeiten gegenüber Paleys Vorstellungen. Als das Wissen über die Tiere der Erde zunahm, wurde es immer weniger glaubwürdig, dass sie alle von Tieren abstammen sollten, die in der Arche Noah eine große Flut überstanden hatten. Vielleicht gab es ja »mehrere Zentren« der Schöpfung. Sogar noch problematischer war der Einfluss einer langen Erdgeschichte auf die Anpassung der Organismen an ihre Umgebung. Man sollte annehmen, dass ein Schöpfer einen Organismus so konstruiert, dass dieser perfekt an eine bestimmte Umgebung angepasst ist, doch eine solche Perfektion würde verlorengehen, wenn sich die Umgebung wandelt. Anpassungen an Klimaveränderungen, an die materielle Struktur der Erdoberfläche oder an Feinde und Konkurrenten ist nur dann möglich, wenn sich die Organismen anpassen können. Eine der Erklärungen für die verschiedenen fossilen Faunen unterschiedlicher geologischer Schichten lautete, dass sie möglicherweise frühere Schöpfungen repräsentierten, die – vielleicht nach Gottes Ratschluss – untergegangen waren.
Die Alternative war, dass an den Tieren seit ihrer ersten Schöpfung Veränderungen aufgetreten waren. Anders ausgedrückt: Die im Fossilbericht beobachteten Veränderungen waren evolutionsbedingt. Charles Darwins Großvater teilte die letztere Ansicht, doch der bekannteste Vertreter der Evolution war ein französischer Biologe, Jean-Baptiste Lamarck, der seine Ideen in einem 1809 publizierten Buch,
Philosophie Zoologique,
vorlegte. Lamarck glaubte, dass es eine stetige Zunahme an Vollkommenheit gab – angefangen von den einfachsten Organismen bis hinauf zu ihrem Gipfelpunkt, der Menschheit. Er meinte, dass eine Spezies im Lauf einer langen Zeitspanne sich in eine andere, »höhere« umwandle. Das half über das Problem des Artensterbens hinweg, das man im späten 18. Jahrhundert zunehmend kontroverser diskutierte, sobald deutlich wurde, dass als Fossilien aufgefundene Organismen nicht mehr in einem noch unentdeckten El Dorado überlebt hatten; andererseits schien es der Vorstellung einer von Gott erschaffenen vollkommenen Welt zu widersprechen. Bis zur Mitte des
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