Gott und die Staatlichen Eisenbahnen
daß nicht Knüsperli seine Scheune angesteckt habe. »Er hatte es auf mich abgesehen, weil ich ihn entlarvt habe – als das, was er ist«, wiederholte er endlos. Knüsperli konnte beweisen, daß er mit Verwandten im Café gesessen und Karten gespielt hatte, aber Demoruz beteuerte, diese Verwandten müßten Lügner sein, wenn sie Verwandte von Knüsperli wären. Er behauptete gar, er habe, während er sein Nachtmahl aß, verdächtige Typen im Zwielicht umher schleichen sehen, und wollte zu seiner Frau gesagt haben: »Komisch, nicht wahr? Die Leute, die da draußen in der Dunkelheit umherlaufen, sehen aus wie Knüsperlis Verwandte. Sie haben hier nichts zu suchen.«
Reichlich verschämt pflichtete Madame Demoruz allen Behauptungen ihres Mannes bei. Ihr blaues Auge erklärte sie damit, sie sei ausgeglitten und hingefallen, als sie Knüsperlis Verwandte in der Dunkelheit zu erkennen versuchte. Der empörte Knüsperli ging vor Gericht, aber während diese rechtlichen Schritte ihren umständlichen Lauf nahmen, wurde Demoruz, der eines Abends mit einer leeren Lie-Flasche in der Hand vom Café heimkehrte, blutig zusammengeschlagen und liegengelassen. Bald darauf waren eines Morgens die Reifen an Knüsperlis Auto aufgeschlitzt. Der Gendarm erkannte, daß sich Fraktionen gebildet hatten und daß die alten Haßgefühle der Talschaft wiedererwacht waren. Statt den Zwischenfall nach Lausanne zu melden und die finsteren Vorgänge zur Schande des Dorfes an die Öffentlichkeit zu zerren, berief er den Rat der Ältesten ein.
Der Doyen der Gemeinde, Monsieur Willy Demoruz-Knüsperli, verwandt mit den Verwandten aller anderen Verwandten und neunzig Jahre alt, trug auf der Versammlung seine Meinung vor. Er erhob sich, seine spärlichen Haare standen ab wie ein Feld voll Ausrufezeichen auf roter, altersgefleckter Erde; seine Gebirgleraugen glichen blauen Sonnenuntergängen in Seen mit blutroten Ufern; ein Kristalltropfen zitterte im haarigen Bug seiner Nase, sein nachlässig rasierter Hals ragte in einer Reihe aufsteigender Furchen bis zum Kinn, sein zahnloser Gaumen kaute auf Erinnerungen herum – und er sprach:
»Wenn wir uns gegenseitig unser Hab und Gut zerstören, so ist dies ebenso blind und sinnlos, wie wenn wir uns selbst zerstörten. Es ist Gottes Wille, daß wir hier in Frieden miteinander leben. Wir Eidgenossen haben unsere Kriege am Anfang unserer Geschichte ausgefochten. Wir haben inzwischen gelernt, ohne sie auszukommen. Gott, in seiner unerschöpflichen Gnade, hat uns hohe Berge geschenkt, die uns schützen, gesunde Kühe, die wir melken, gutes Holz, aus dem wir unsere Häuser bauen. Und nicht genug damit, hat er uns sogar die Touristen geschickt, die wir ausbeuten. Wir haben alles, was wir brauchen, und noch viel mehr. Ich aber sage euch, wenn wir heute im Hader liegen, so deshalb, weil es unter uns zwei schlechte Gewissen gibt, aus denen alle Probleme entspringen. Ich will nicht entscheiden, wer recht und wer unrecht hat. Ich sage nur, daß es zwei schlechte Gewissen braucht, um solche Schwierigkeiten zu verursachen, wie wir sie heute haben. Eines genügt nicht. Mehr will ich nicht sagen – außer, daß uns nur recht geschieht, wenn der Allmächtige, dessen Ratschluß über allem Begreifen steht, uns die Touristen wieder wegnimmt. Dann bleibt uns keine andere Wahl, als uns gegenseitig auszubeuten, wie wir es taten, als wir noch Kriege hatten.«
»Warum sieht man Euch so selten in der Kirche?« fragte der Priester lächelnd, als die Versammlung auseinanderging. »Keine Lust. Langweile mich. Schlafe besser zu Hause«, murmelte der Alte.
Pia in Paris war überrascht und dankbar, als sie nicht nur ihr Geld zurückbekam, sondern auch noch zwei Uhren in Empfang nehmen konnte. Die wertvollere schickte sie wieder an Manlio – in einem neuen Umschlag mit der Aufschrift: »Muster ohne Wert« –, und sie erklärte ihm, das Geschäft sei nicht bereit gewesen, die Uhr zurückzunehmen, sie habe viel Geld dafür bezahlt und er solle, immer wenn der Wecker klingelte, an die Liebe seiner Tante denken, die das Motiv zu diesem Geschenk gewesen sei. Die andere Uhr schickte sie Giorgio.
Im nächsten Sommer, als sie zu Hause in Italien war, konnte sie feststellen, daß die Jungen sich nicht verändert hatten.
Giorgio war häßlich wie eh und je, Manlio sogar noch schöner. Nur die Fahrräder schienen gealtert. »Nun, und was machen die Uhren?« fragte sie. Die Jungen wechselten einen Blick. »Meine ist schon kaputt angekommen«,
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