Gott und die Staatlichen Eisenbahnen
für die Pomona Ever-Go bezahlt?«
»Ja gewiß.«
»Dann ist dies die Uhr, die uns hier betrifft.«
»Aber sie hat bereits eine teurere Uhr bezahlt!« schrie Monsieur Petiton, die Geduld verlierend.
Der Gendarm seufzte. »Wer führt hier die Ermittlung, Monsieur. Sie – oder ich?«
»Sie«, gestand Monsieur Petiton mit offensichtlichem Bedauern.
»Gut. Nun, also.« Der Gendarm wandte sich an Knüsperli und Demoruz. »Als Demoruz, Albert, die Uhr zu dir brachte, Knüsperli, Heinrich, hast du dich also geweigert, sie zurückzunehmen?«
»Habe ich nicht«, erklärte Knüsperli kategorisch. »Das ist eine unverschämte Lüge!« brüllte Demoruz und knallte seine schwielige Hand auf die Glastheke. »Das nimmst du zurück!« fauchte Knüsperli. »Oder du verläßt sofort meinen Laden.«
»Niemand verläßt den Laden, solange ich hier bin«, sagte der Gendarm. »Warst du bereit, die Uhr zurückzunehmen?«
»Wie Monsieur Petiton richtig feststellte, ist das eine normale Geschäftspraxis.«
»Warum hast du sie dann nicht zurückgenommen?«
»Demoruz weigerte sich, sie herauszugeben.«
»Gott sei mein Zeuge!« donnerte Demoruz und ließ seine Faust noch einmal herabsausen, wobei das Glas der Theke in Scherben ging. »Gott sei mein Zeuge, das ist eine schmutzige Lüge. Die Italienerin hat die Uhr in einem gewöhnlichen Briefumschlag geschickt, mit der Aufschrift >Muster ohne Wert<, in der offensichtlichen Absicht, den eidgenössischen Zoll zu beschwindeln.«
Die Augenbrauen des Gendarmen schnellten bis zum Haaransatz hoch. »Gibst du diese Aussage zu Protokoll?« fragte er. »Jawohl!«
»Das müssen Sie beweisen!« schrie Petiton. »Ich kann es beweisen und werde es tun!«
»Zeigen Sie den Briefumschlag vor!«
Bei Demoruz war plötzlich der Dampf aus dem Kessel. »O nein«, sagte er. »Ich habe den Umschlag benutzt, um die Uhr zurückzuschicken.«
»Noch immer mit der Aufschrift: >Muster ohne Wert«
»Ich. kann mich nicht erinnern.«
»Soviel zu den moralischen Grundsätzen dieser Leute«, wetterte Petiton.
»Wenigstens war es eine billigere Uhr!« kreischte Demoruz. »Eine viel billigere Uhr! Ja, ein Geschenk ohne Wert.«
»Aha, das geben Sie also zu?«
»Natürlich gebe ich’s zu.«
»Wenigstens ein Geständnis«, meinte Petiton befriedigt. »Ich habe niemals geleugnet, daß es eine billigere Uhr war«, betonte Monsieur Knüsperli.
»Sie sind immer ausgewichen, wenn ich Sie nach dem Wert der Uhr fragte«, klagte Monsieur Petiton. »Vierzig Franken hat er mir abgeknöpft«, heulte Demoruz, »während Sie behaupten, Monsieur, daß die Uhr nur zwanzig wert war!«
»Und wer bezahlt die Beschädigung meiner Ladentheke?« krähte Knüsperli zurück.
»Meine Herren«, sagte der Gendarm mit der gequälten Würde eines Schullehrers, der seinen Schülern klarzumachen versucht, daß sie ihn enttäuscht haben. »Meine Herren, soweit ich sehe, stehen hier nicht ein paar Franken auf dem Spiel, sondern die Ehre der ganzen Talschaft.« Mit einem Instinkt, klüger als sein bewußtes Denken, steuerte er die Debatte auf die Ebene des Bürgerstolzes, weg von den Tatsachen, von denen er nichts verstand. Knüsperli war der schnellere der beiden Gegner, der begriff, daß ihm hier ein Fluchtweg eröffnet wurde.
»Ich bin doch kein Narr«, erklärte er, plötzlich Vernunft annehmend. »Ich schätze Monsieur Petiton als treuen Kunden, schätze ihn höher als diesen kleinen Extraprofit. Und noch wichtiger ist mir mein guter Ruf. Dieses Geschäft wurde im Jahre 1902 gegründet, von meinem Großvater – «
»Dem alten Gauner! Du schlägst ganz in seine Art«, sagte Demoruz.
Knüsperli überging die Kränkung mit melancholisch-nachsichtigem Lächeln. »Wir haben der Gemeinde stets treu gedient«, fuhr er fort, »und darum bin ich bereit, selbst die Preisdifferenz aus eigener Tasche zu erstatten, falls alle Beteiligten einverstanden sind. Die fragliche Summe beläuft sich auf einhundertvierzig Franken. Ist das allseits annehmbar?«
»Nie und nimmer!« schrie Demoruz. »Glaube nur nicht, daß ich dich nicht durchschaue, du Heuchler! Du versuchst mich ins Unrecht zu setzen.«
»Möchtest du vielleicht mit mir teilen? Wir steuern jeder siebzig Franken bei«, lächelte Knüsperli.
»Du willst mich für dumm verkaufen, oder wie?« knurrte Demoruz, der sich in die Enge getrieben fühlte. Er blickte die anderen an, dann wieder den verhaßten Knüsperli, der immer noch lächelte, ein leeres und starres, hirnerweichendes
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