Gott und die Staatlichen Eisenbahnen
ausgebeulten Manteltasche gezogen hatte. >Haben Sie dafür eine Genehmigung?< fragte ich ihn. In Augenblicken der Gefahr finde ich immer den Mut zur Unbeschwertheit. Er antwortete, die Nihilistische Internationale habe für gar nichts eine Genehmigung, und dies sei Teil ihrer politischen Linie.
Ich fing an zu lachen. Dies schien Zvoinitch zu erregen; er hielt seine Pistole aus dem Fenster und drückte ab. Es gab einen donnernden Knall, der ein starkes Summen in meinen Ohren hinterließ. Die dramatische Wirkung wurde leider von der alten Perlescu etwas verdorben, die schrie: >Du Narr, das war das letzte Schießpulver! < Ich sprang auf und zeigte mit zitterndem Finger auf die Tür.
>Hinaus! Hinaus!< brüllte ich. >Und kommen Sie niemals wieder!<
Sie verließen verwirrt mein Zimmer, gerade als Leute aus den Nachbarbüros hereinstürzten, um zu sehen, was passiert sei. Als bald darauf gemeldet wurde, daß der Kaiser von Äthiopien uns einen Besuch abstatten wolle, rechnete ich halb damit, daß sie wiederkehrten, aber die Tage verstrichen, und sie stellten sich nicht ein. Ich war von Reue geplagt, Plageot. Vielleicht lag es daran, daß auch ich älter wurde und den gähnenden Abgrund der Pensionierung vor mir spürte, der näher und immer näher rückte. Aus welchem Grund auch immer, ich fühlte mich von schrecklichem Mitleid mit diesen alten Narren gepackt. Nachdem ich sie aus meinem Büro geworfen hatte, bekam ich Schuldgefühle, wie ich sie empfände, wenn ich einen Hund prügelte oder einem Kind ein Bonbon stibitzte. An sich war mein Verhalten belanglos gewesen, aber ich fürchtete, daß es große Bedeutung für diese Leute gewinnen mochte, da ihre Welt so beschränkt war. Ich betete, sie sollten wiederkommen, um mein Gewissen zu erleichtern. Dann, nur wenige Stunden vor der Ankunft des Negus am Flughafen Orly, wurde die Tür zu meinem Büro zögernd aufgestoßen. Es war Zvoinitch. Ich sprang auf und platzte heraus: >Mein Gott, wo haben Sie gesteckt? Ich dachte schon, ich müßte kommen und Sie holen!< Zvoinitch lächelte schwach und begann zu zittern. >Dann dürfen wir also nach Korsika fahren?< >Hier sind Ihre Papiere<, sagte ich, mit einem Seufzer der Erleichterung. Es war das letzte Mal, daß ich sie sah.«
Plageot starrte Latille an, als habe er eben einem Verkauf militärischer Geheimnisse beigewohnt.
»Eines haben Sie noch nicht erklärt«, schnarrte er. »Warum wollen diese Leute nach Korsika? Ist es der Tagungsort der Nihilistischen Internationale?«
»Oh, nein«, sagte Latille, mit einem Lächeln voll bezaubernder Offenheit. »Ich glaube nicht, daß die Nihilistische Internationale noch existiert. Nein, ich glaube, ihnen behagt das Klima von Korsika. Sie betrachten es als Urlaub. Ein Urlaub, den wir bezahlen.«
Plageot schwebte am Rande des physischen Zusammenbruchs. Er war lila vor Zorn.
»Dies ist der skandalöseste Vorgang, der mir jemals zu Ohren gekommen ist!« brüllte er. »Sie sind ein Opfer Ihrer eigenen Schwäche und Sentimentalität, Latille, und auf Grund Ihrer nahenden Senilität projizieren Sie Ihr Selbstmitleid auf eine Gruppe harmloser Schwachköpfe, die – « Latille hob die Hand, um die Sturzflut aufzuhalten. »Harmlos?« funkelte er. »Wäre diese Pistole auf einen Menschen gerichtet worden, sie hätte ihm den Kopf abgerissen. Den Leuten fehlt es nicht an Einfallsreichtum, wie Ihnen, Plageot. Sie mögen verrückt sein, aber sie haben Phantasie. In diesem Moment könnten sie in irgendeiner Mansarde hocken und irgendeinen teuflischen Plan austüfteln, um den Imam von Hidschas zu erledigen – nicht, Plageot, weil sie etwas gegen den Imam hätten, sondern weil es ihre Art ist, Ihnen zu sagen, daß es Zeit wird für sie, nach Korsika zu fahren.«
»Also verhaften! Sie ins Gefängnis werfen! Ihnen eine Lektion erteilen!«
»Das ist Ihre Methode, nicht wahr? Gefängnis. Auch dies geschieht auf Kosten der Öffentlichkeit, Plageot. Vielleicht kommt es billiger im Cherche-Midi, aber ihr Essen wird auch dort vom Steuerzahler bezahlt. Das französische Volk muß immer bezahlen, entweder für meine Toleranz oder für Ihre Intoleranz.«
»Dann verweisen wir sie des Landes!«
»Wohin? Wer würde sie aufnehmen? Mein lieber Junge, Sie haben eine sehr geringe Meinung von La France und ihren Traditionen.«
»Frankreich ist kein Wohltätigkeitsverein!«
»Frankreich ist die Heimat des zivilisierten Geistes. Sie sind so ehrgeizig, daß Sie eines Tages den obersten Ast des Baumes erreichen und
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