Gott und die Staatlichen Eisenbahnen
haben will. Es ist dringend. Höchste Priorität. Ich gebe Ihnen die Namen und die Adressen durch.«
Nachdem er dieses Gespräch beendet hatte, legte er sich aufs Bett und schloß die Augen. Bald war er eingeschlafen. Seine Träume waren von Mördern bevölkert. Jeder trug irgendein tödliches Werkzeug. Mademoiselle Pelbec versuchte ihn mit ihrer Schere zu erstechen. Er konnte keine Tür öffnen, ohne Latille vorzufinden, gefolgt von einem Regiment glücklicher und häßlicher Töchter. Als er an die Postfächer ging, um seine Post zu holen, sah er dort viele kleine nackte Frauen aufgestapelt, eine für jeden Dienstgrad. Das Postfach des Präfekten barg die berühmteste Schauspielerin Frankreichs, zwanzig Zentimeter groß. »Bonjour, Plageot«, sagte sie mit gewinnendem Lächeln. »Eines Tages wirst du Präfekt sein, und du wirst mich erben.« Er erwachte schweißgebadet und am Rand der Tränen. »Verfluchter Latille!« schrie er laut.
Am nächsten Morgen erwarteten ihn zwei Detektive, die ihn sprechen wollten.
»Na«, fragte er, »haben Sie einen von ihnen erwischt?«
»Nein, Monsieur«, antwortete der Detektiv.
»Idioten!« Plageot donnerte mit der Faust auf den Tisch.
»Bei allem Respekt, wir sind nicht verantwortlich für die Abwesenheit der Verdächtigen.«
»Natürlich nicht. Ich habe schlecht geschlafen. Ich bin nervös.«
Langsam schleppte sich der Tag dahin. Plageot konnte nicht arbeiten. Um vier Uhr nachmittags meldete ein telephonischer Anruf Seiner Exzellenz, Dschamil Al Harun Ibn-Ibrahim Al-Salaouis, des ökonomischen Chefberaters Seiner Durchlaucht, des Imam von Hidschas, die Tatsache, daß ein Drohbrief die Delegation in Genf erreicht habe, am Vorabend ihrer Abreise. Der Brief, in Soissons abgestempelt, war offenbar kurz und bündig. Er lautete: »Der Tod erwartet Sie in Paris.« Keine Unterschrift, aber die amateurhafte Zeichnung eines abgeschlagenen Kopfes und eines blutbefleckten Krummsäbels.
Irgendwie war Plageot erleichtert. Jetzt gab es keine Unklarheit mehr, keine Angst mehr, sich lächerlich zu machen. Er informierte alle zuständigen Abteilungen über die Herkunft der Drohung. Um sechs Uhr wurde ein Mann, der sich mit Hilfe zweier Stöcke fortbewegte, verhaftet, aber nach einstündiger Vernehmung freigelassen. Er erwies sich als ein pensionierter Oberst mit glorreicher Vergangenheit. Auch bekundete er die Absicht, die Polizei zu verklagen. Die Operation stand unter einem schlechten Stern.
Um acht rief die Polizei aus Genf an, um den Eingang eines bedrohlichen Telegramms im Hotel der arabischen Delegation zu melden. Es lautete: Wir meinen ernst, was wir in dem Brief sagten. Der Säbel der Rache ist gezückt. Es war in Bordeaux abgeschickt worden. Bordeaux? Plageot studierte die Landkarte. Soissons war ziemlich weit entfernt von Paris, Bordeaux noch viel weiter. Dies mußte bedeuten, daß die Organisation größer war, als er geglaubt hatte. Er sah auf die Uhr und wurde nervös. Es blieb nur noch wenig Zeit. Um acht Uhr hielt der Präfekt, Monsieur Vagny, eine Besprechung ab, an der Plageot teilnahm.
»Meine Herren«, sagte der Präfekt düster, »wir werden alle Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, um die Sicherheit des Imam von Hidschas zu gewährleisten. Was ich Ihnen hier sage, unterliegt selbstverständlich höchster Geheimhaltung. Der Imam und sein Gefolge werden in letzter Minute von der Air-France-Maschine, die sie nach Orly bringen sollte, auf eine Maschine der Swissair umgebucht, die in Le Bourget landen wird. Die Swissair-Maschine landet zehn Minuten früher. Von dort wird ein Citroen einen falschen Imam auf direktem Weg ins Hotel Raphael bringen, während der echte Imam in einem Delage einen größeren Umweg fahren wird. Die Etagenkellner im zweiten Stock des Raphael sind allesamt durch Polizisten ersetzt. Den Fahrstuhl wird Inspektor Vaubourgoin bedienen, einer unserer besten Männer. Wir werden das Küchenpersonal mit unseren Leuten durchsetzen. Falls die Attentäter zuschlagen, werden sie uns bereit finden. Wir können es uns nicht leisten, die Gefahr für das Leben des Imam zu unterschätzen oder die Bedeutung seines Überlebens für unser Land zu überschätzen. Das wäre alles, meine Herren. Auf Ihre Posten!«
Kurz bevor die Maschine der Air France in Genf abheben sollte, wurde sie von der Schweizer Polizei durchsucht. Eine Bombe mit Zeitzünder wurde an Bord entdeckt, harmlos unter einem Sitz tickend. Die meisten Passagiere hatten bereits Platz genommen, als einer von
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