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Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Titel: Gott und die Staatlichen Eisenbahnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ustinov
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war nicht unangenehm. Es war auch seltsam beunruhigend für sie, daß sie ihren Sklaven ein wenig fürchtete.
    »Oh, mein Casanova«, murmelte sie, »mein ruchloser Casanova, du bist jetzt nur ein Hündchen. wie wirst du erst sein, wenn du ein Hund bist?«

Das Leben ist eine Operette
    Im Winter 1927 geschah es, daß Mizzis Traum wahr wurde. Das kleine Mädchen vom Stadtrand von Kekesfehervar gab ihr Debüt in einer Operette, aus der Feder des großen Imre Dobos persönlich. Böse Zungen flüsterten, daß sie, um ihre Ziele zu erreichen, sich selber Dobos schenken mußte, und bedauerlicherweise, wie es so oft der Fall ist, hatten die bösen Zungen auch recht. Doch sie sang hübsch, war Anlaß für die vierte Scheidung Dobos’, und das Stück, befeuert zweifellos von Liebe und einem Auflodern plötzlicher Jugend im Herbst des Lebens, wurde als Meisterwerk seiner Art beklatscht. Mizzi hatte sich immer zur Operette hingezogen gefühlt; schon in der Schulzeit kannte sie alle Melodien und alle Texte der gängigen Schlager. Ihr erster Liebster, Lajos Palotai, war ein sanfter, langhaariger Bursche, leidvoll kurzsichtig, dessen Geschmack mehr zur ernsten Musik tendierte; doch seiner schwarzäugigen Liebsten zu gefallen, hämmerte er die frivolen Melodien auf dem Klavier. Gemeinsam, an Ufern glitzernder Sommerflüßchen, in kleinen Cafés, schmiedeten sie ihren Traum. Einst würde sie eine große, große Sängerin sein. Seine Rolle in diesem Traum wurde nie recht klar, doch Lajos war zu verliebt und zu schüchtern, um Anspruch auf ein bestimmtes Register in ihrem Ehrgeiz zu erheben. Es schmeichelte ihm, nur dazusitzen und ihr zu lauschen und Händchen zu halten.
    Als sie achtzehn wurde, ging sie nach Budapest. Lajos brachte sie zum Bahnhof, ohne böse Ahnungen, aber mit einem Dschungel der Traurigkeit im Herzen, die er männlich hinter unbeholfener Galanterie zu verbergen suchte. Das Vorsingen führte in das vierpfostige Himmelbett in Dobos’ Villa, auf dem Umweg über ein kerzenbeleuchtetes Lokal mit Zigeunern und eine nächtliche Fahrt in einem offenen Hispano Suiza.
    Lajos kam zur Premiere von Liebe im Zigeunerwagen und saß allein in einer Loge, die Mizzi bezaubernderweise für ihn reserviert hatte. Weder war die Handlung der Operette durch überraschend neue Einsichten zum Zigeunerproblem gekennzeichnet, noch verriet die Musik mehr als Spuren eines melodischen Talents. Im ersten Akt schlug eine wandernde Gruppe von Roma ihr Lager unwissentlich auf den Ländereien eines Fürsten auf, der zufällig seine Verlobung beging, indem er seinen üblen Husarenkameraden erlaubte, sich in der Ahnengalerie schlecht zu benehmen. Im zweiten Akt gingen die Husaren auf die Jagd und stießen auf die Zigeuner. Ihr berechtigter Zorn auf Leute, die nicht in Schlössern lebten, verrauchte plötzlich, als der Fürst einen Blick auf die von Mizzi dargestellte Tochter des Zigeunerkönigs warf. Unterlegt mit einem gesummten Csardas, sang er die Arie Einsam blüht eine Blum’ im Herbst, die späterhin zur beliebten Zugabenummer für hohe Tenöre überall auf der Welt wurde. Er vergaß seine Verlobung mit der Gräfin Etelka, einer drallen Blondine in weißem Pelz, und machte Mizzi mit der unerbittlichen Verve eines talentierten Kavallerieoffiziers den Hof. Der Zigeunerkönig ermahnte seine Tochter in hallendem Baß: Hüte dich vor Fürstenliebe und beschwor sie, dem Wanderleben und Besenbinden treu zu bleiben und einen Gefährten aus ihren eigenen Reihen zu wählen. Als seine Argumente nicht verschlugen, sperrte er sie in ihren Wohnwagen ein. In der Nacht schlich sich der Fürst, in Lumpen gehüllt und mit einem bunten Tuch um den Kopf, in das Lager und sang seiner Angebeteten ein Ständchen, das berühmte Schätzchen, mein Herz pocht in deiner Brust. Hier fand Mizzi wahrhaft zu sich selbst, wenn sie ihm mit dem welterschütternden Schlager antwortete: Deine Stimme klingt wie eine Symphonie. Alles endete glücklich mit einer Abwandlung des Raubs der Sabinerinnen – einer Rhapsodie auf die ungarische Völkervereinigung, wobei die Husaren fröhlich zappelnde Zigeunermädchen in den Armen schleppten, während der grausam konservative Zingari-König sich durch die allgemeine Stimmung erotischer Ausgelassenheit an den wogenden Busen der Gräfin Etelka schwemmen ließ.
    Der Applaus war stürmisch, und ein zitternder, in Tränen aufgelöster Lajos drückte anschließend in der blumenüberhäuften Garderobe Mizzi die Hände. Er war ein wenig verstimmt,

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