Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Titel: Gott und die Staatlichen Eisenbahnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ustinov
Vom Netzwerk:
wir würden Ihnen den Priester nicht verweigern, falls einer verfügbar wäre; aber wir würden die Exekution kaum aufschieben, um einen zu suchen.« Gargaglia hörte nicht mehr zu. Durch den Wunsch nach Rache waren die Chancen, Heldentum oder auch nur Würde zu beweisen, stark eingeschränkt worden. Man hatte das Ritual verändert, und es war beinah eine Blasphemie, diese Verweigerung althergebrachter Höflichkeitsformen. Nur Feiglinge wurden von hinten erschossen. In ihrem finsteren Haß wußten die Veränderer der Regeln, daß keine großen Gesten möglich waren, wenn man, wie das Opfer eines Raubüberfalls, auf einem vulgären Küchenstuhl kauerte. Und kein Priester! Keiner, der Geist genug gehabt hätte, um die Qualität eines stolzen Schweigens zu würdigen! Gargaglia nahm Zuflucht zum Zorn und stampfte auf. »Ich sagte Ihnen doch, wir hätten nicht darüber sprechen sollen«, sagte Arnaldo. »Es ist kein guter Gesprächsstoff.«
    »Ruhe!« brüllte Gargaglia. »Sollte mir ein letzter Wunsch gewährt werden, wird es Ihr Schweigen sein.«
    »Sie haben Ihr Wasser noch nicht getrunken«, sagte Arnaldo sanft. »Wollten Sie es nicht?«
    Die Zellentür ging auf, und Quattrospille trat ein. Er war der örtliche Kommandeur der Partisanen, ein kettenrauchender Intellektueller mit einem ewigen Stirnrunzeln, und Augen, die in die Ferne zu blicken schienen. Gargaglia geriet einen Moment in Panik, als er ihn sah, klammerte sich dann aber an seinen Zorn, wie an ein Rednerpult. »Na?« bellte er und gab zu verstehen, daß es gut wäre, das Schreckliche, falls es getan werden mußte, rasch hinter sich zu bringen. Quattrospille steckte sich eine neue Zigarette am Stummel der letzten an und lehnte sich an die gekalkte Wand.
    Gargaglia empfand die Pause als Kränkung. »Was ist los mit Ihnen?« fragte Quattrospille. »Sie haben doch keine anderen Probleme, als zu warten.«
    »Warten, warten. Worauf?«
    »Ah«, antwortete Quattrospille seufzend, »ich wollte, ich wüßte es. Wenn es nach mir ginge, hätte ich Sie auf der Stelle erschossen, sofort, als wir Ihnen die Frauenkleider vom Leib rissen. Es hätte mir Kopfzerbrechen erspart, und ich bin sicher, auch Sie wären glücklicher dabei gewesen.«
    »Versuchen Sie etwa zu scherzen?« fragte Gargaglia und holte Luft.
    Quattrospille blickte gequält. Die Müdigkeit hatte seine Reflexe verlangsamt. »Nein. Ich sage nur, was ich denke. Immerhin sind dies bewegte Tage, und jeder scheint eine Woche zu dauern. Wir zerstören mit der einen Hand, und versuchen mit der anderen, mühsam wiederaufzubauen. Das ist schwer. Während der Schlacht sind die Probleme so einfach. Dann, wenn der Frieden kommt, fangen die alten Schwierigkeiten von vorne an.«
    Gargaglia räusperte sich. »Sind Sie gekommen, um mir etwas zu sagen, oder vertreiben Sie sich nur die Zeit auf Kosten meiner Nerven?«
    »Ich?« antwortete Quattrospille. »Ich lege meine Karten auf den Tisch. Ich erzähle Ihnen von meinen Problemen, von Verwaltungsproblemen, weil Sie selbst einmal ein hoher Verwaltungsbeamter waren und vielleicht in der Lage sind, sie zu begreifen.«
    »Ich habe stets auf einer klaren Sprache bestanden.« Quattrospille lächelte, und während er lächelte, gähnte er. »Wirklich?« antwortete er. »Na, was könnte klarer sein, als wenn ich Ihnen sage, daß Sie, wäre es nach mir gegangen, auf der Stelle erschossen worden wären.«
    »Aber was versuchen Sie mir jetzt zu sagen?« schrie Gargaglia. »Daß es nach Ihnen geht und ich erschossen werde – oder daß es nicht nach Ihnen geht und ich nicht erschossen werde?«
    Quattrospille nahm einen tiefen Zug und beobachtete, wie der Rauch langsam im Raum aufstieg und sich in trägen Kringeln ausbreitete. »Die Situation ist noch nicht klar«, sagte er.
    Amateure! dachte Gargaglia. Kaum sind sie an der Macht, funktioniert nichts mehr, Eisenbahn, elektrisches Licht, Rechtsprechung. Nichts. Doch er gestand Quattrospille den Luxus weiteren Grübelns zu.
    »Sehen Sie«, fuhr Quattrospille fort, »in den ersten Tagen waren wir auf uns selbst gestellt. Verbrecher, die wir fingen, wurden erschossen. Und keine Fragen wurden gestellt. Dies gab uns die Möglichkeit, schnelle und gute Arbeit zu leisten. Jetzt ist die Hauptmacht der alliierten Streitkräfte gekommen, nicht nur Soldaten, sondern auch die Verwaltung, nicht nur Anglo-Amerikaner, sondern auch Italiener. Dies kompliziert die Dinge unvermeidlich. Wenn ich Sie jetzt erschieße, wird man wissen wollen, warum Sie nicht

Weitere Kostenlose Bücher