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Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Titel: Gott und die Staatlichen Eisenbahnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ustinov
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warum ich Gefängniswärter bin und nicht Offizier, ein Mann, der Entscheidungen trifft, und seien es kleine. Aber mein Sohn liebt Autogramme. Er hat schon etliche Filmstars beisammen, und ein paar Berühmtheiten aus anderen Bereichen des Lebens. Nun, ich liebe meinen Sohn. Er ist klein, aber es ist nicht meine Schuld, daß er noch nicht viel von seiner Kindheit gehabt hat. Wenn er Autogramme haben will, ist es das mindeste, was ich tun kann, sie für ihn zu besorgen. Und sie sind billiger als Spielsachen. Ich meine, ich habe nichts übrig für Hitler, doch wenn die Chance bestünde, sein Autogramm zu bekommen, würde ich es mir holen, verstehen Sie? Ich weiß nicht, was man in ein paar Jahren über Sie sagen wird. Vielleicht wird man Sie als Verräter ansehen, oder als Mann, der für Italien viel Gutes getan hat, oder man wird Sie vergessen. Die Geschichte läßt sich nicht voraussagen. Also dachte ich mir, besser auf Nummer Sicher gehen, für Benito. Darum habe ich Sie um Ihr Autogramm gebeten.«
    »Klingt logisch«, murmelte Gargaglia, aber er hatte nicht die Kraft, das Gesagte ironisch klingen zu lassen. Es entstand eine Pause, während Arnaldo die signierte Photographie ordentlich zusammenfaltete und in seiner Tasche verstaute. »Einen Becher Wasser?« fragte er. Gargaglia wollte eigentlich kein Wasser, aber er nickte sparsam, wie er es getan hatte, als er im Amt war. Ein Kopfnicken, das Autorität unterstrich.
    Während Arnaldo draußen war, erinnerte sich Gargaglia an eine Operation, bei der ihm die Gallenblase entfernt worden war. An der immer wiederkehrenden Gelbsucht war Afrika schuld gewesen. Er war einer der Pioniere in diesen grausamen Wüsten, die Italiens Wirtschaft enorme Anstrengungen kosteten, im Tausch für den bloßen Titel eines Imperiums. Seine schadhafte Galle hatte in seinen Augen den Charakter einer Wunde angenommen, glorreich empfangen im Dienst seines Vaterlandes.
    Er erinnerte sich an das Krankenhaus, die Atmosphäre funktionaler Leistungsfähigkeit, wirbelnde Ventilatoren an der Decke, um die träge Luft aufzupeitschen, die besorgte Fröhlichkeit der Ärzte, die ab und zu einen freundlichen Blick übrig hatten, das stumme Dahingleiten der Nonnen und ihr Ausdruck direkter Verbindung mit dem Himmel. Es hatte ihm Mut gemacht, dieses Gefühl, Teil einer Heilungsfabrik zu sein, und er hatte sich unter das Messer gelegt, überzeugt, daß seine Kooperation entscheidend sei, wenn die Sache gut abgehen sollte.
    Was ist der Tod anderes, fragte er sich, als eine Operation, von der ein Mann nicht mehr aufsteht? Das entscheidende ist, sachlich zu bleiben und mit den Männern zu kooperieren, die diese Pflicht erledigen. Bei jeder Hinrichtung hat das Opfer eine Rolle zu spielen. Es ist weniger ein tragischer Vorgang als vielmehr ein Ritual mit eigenen vorgeschriebenen Regeln und Gesetzen, eine Art Gottesdienst. Nonnen sterben ab für die Welt, indem sie sich hilflos auf den Boden strecken und mit einem symbolischen Leichentuch zugedeckt werden, bevor sie in den eifersüchtigen Schoß der Mutter Kirche einziehen. Das Hinrichtungskommando ist nichts anderes. Voraussetzung für den Novizen ist ein Gefühl für die Würde des Augenblicks sowie Entsagung; zu allen Zeiten Entsagung. Beim großen Totentanz durfte er nicht vergessen, das Taschentuch zurückzuweisen, wenn es ihm angeboten wurde. Diese Ablehnung ist die einzig erlaubte Auflehnung, die der Zeremonie ihre profane Qualität verleiht. Ganz sinnlos, Unschuld zu beteuern, sinnlos auch, irgendwelche Platitüden über die Nation zu brüllen. Es beunruhigt nur das Erschießungskommando, die Männer, die nicht aus eigenen Stücken hier stehen und anschließend weiterleben müssen. Es ist eine Frage des Anstands, den Tröstungen des Priesters zu lauschen, als wäre er wirklich ein Überbringer höherer Labsal. Er hätte es unerträglich gefunden, wenn der Priester auch nur einen Moment lang glauben könnte, daß seine freundlich melancholischen Phrasen auf taube Ohren stießen. Es wäre ebenso ungezogen, als erlaubte man sich, in Gedanken abzuschweifen, während ein gutwilliger Langweiler einem eine Geschichte erzählt, die man schon einmal gehört hat. Endlos träumte Gargaglia, und endlos war es der immer gleiche Tagtraum. Er sah sein eigenes edles Profil und seinen vornehmen Kopf, einen Kopf, der seltsamerweise durch seine Kahlheit noch vornehmer wirkte. Ohne mit der Wimper zu zucken, hörte er zu, wie der Kommandant des Hinrichtungskommandos sein vom

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