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Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Gott und die Staatlichen Eisenbahnen

Titel: Gott und die Staatlichen Eisenbahnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ustinov
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der schwerfälligen Justiz eines höheren Gerichts übergeben wurden. Ich könnte immer sagen, daß Sie auf der Flucht erschossen wurden, doch dann besteht die Gefahr, daß irgendein ehrgeiziger Trottel das Gegenteil bezeugt, und ich sitze in der Tinte.« Er warf einen Seitenblick auf Arnaldo, hielt inne und zündete sich eine neue Zigarette an, obwohl die zwischen seinen Lippen kaum zur Hälfte geraucht war.
    »Ich bin nicht in der Verfassung, mich für Ihre Probleme zu interessieren«, sagte Gargaglia steif. »Ich kann mich nur für Ihre Entscheidung interessieren. Ich wäre dankbar zu erfahren, wie sie ausfällt.«
    Quattrospille lachte leise und humorlos. Dann forderte er Arnaldo auf, die Zelle zu verlassen. Als sie allein waren, fuhr er fort: »Sie sind völlig im Irrtum. Ich bin gekommen, um Sie zur Kooperation zu ersuchen, um Ihnen ein Angebot zu machen, wenn Sie so wollen. Falls ich Ihnen die Flucht ermögliche, könnte ich Sie erschießen und mich vor jeder nachträglichen Anschuldigung schützen.«
    »Sie sind völlig verrückt!« platzte Gargaglia heraus. »Wieso? Es gibt immer noch die schwache Chance, daß unsere Kugeln Sie verfehlen; es ist die Art Chance, die die Engländer als >sportlich< bezeichnen. Und bevor Sie übereilte Schlüsse ziehen, denken Sie an die Alternative. Wenn Sie nicht heute erschossen werden, jetzt, diese Minute, werden Sie höheren Instanzen ausgeliefert und vor Gericht gestellt. Sie waren ein hoher faschistischer Funktionär. Man wird Sie für ein paar Verbrechen in Äthiopien verantwortlich machen, wie auch für Ihre Restriktionen gegen die Juden, ganz zu schweigen vom Tod zahlreicher Partisanen und Geiseln. Das bedeutet auf jeden Fall das Hinrichtungskommando. Überlegen Sie also, was vorzuziehen ist – ein sauberer Schuß, jetzt, wo Sie auf das Schlimmste vorbereitet sind, oder eine feierliche Exekution zu einem späteren Datum, nach unzähligen Aufschüben, wenn Sie sich an die Hoffnung gewöhnt haben.« Gargaglia blickte in Quattrospilles Augen und sah dort keine Menschlichkeit, nur Neugier. »Arnaldo!« rief Gargaglia.
    »Sie werden es noch erleben, daß Sie Ihre Entscheidung bedauern«, sagte Quattrospille, »aber schließlich waren die meisten Ihrer Entscheidungen idiotisch.«
    »Während der ganzen faschistischen Ära«, stammelte Gargaglia, sein Gesicht gerötet vor Zorn und Angst, »ist mir nie solcher Haß begegnet.«
    Quattrospille schien überrascht. »Ich bin doch sehr barmherzig. Eines Tages werden Sie vielleicht das Ausmaß meiner Barmherzigkeit erkennen. Da war kein Haß in meinem Angebot, nur Verständnis.«
    Arnaldo kam wieder herein und begann Quattrospilles Waffenrock abzuklopfen. »Ganz weiß«, sagte er, »von der Mauer«, und dann flüsterte er seinem Chef irgendeine Nachricht ins Ohr. Quattrospille schloß vor Erbitterung die Augen. Als er sie wieder aufschlug, sah er Gargaglia direkt an. »Sie haben Besuch«, sagte er und ging.
    »Besuch?« Gargaglia zitterte. In der melodramatischen Sprache, die die Partisanen gebrauchten, konnte dies alles mögliche bedeuten. Er krümmte sich in der Ecke zusammen. Es konnte nichts weiter besagen als einen anderen Gefangenen, der seine Zelle teilen sollte, oder es konnte den Lauf einer Maschinenpistole durch die Gitterstäbe bedeuten. Die Zellentür ging knarrend auf, und ein Mann trat langsam ein, blinzelnd, als sei er nicht an das Licht gewöhnt. Er war ziemlich groß und von der Natur offenbar zur Korpulenz bestimmt, aber im Augenblick war er mager und blaß, vielleicht von langer Krankheit genesen. Sein Hals war viel zu dünn für seinen Kragen, und lockere Haut hing in Falten von einem energischen Kinn herab, die leise zitterte, wenn er den Kopf drehte. Die Kleidung, die er trug, war so spartanisch, daß sie beinah eine Art Uniform bildete. Mit der Hand umklammerte er einen steifen schwarzen Hut und eine Ebenholzkrücke, auf die er sich stützte.
    »Signor Gargaglia? Darf ich eintreten?« keuchte er mit asthmatischer Stimme. »Wer ist da?«
    »Guido Manasse.«
    Gargaglia war es, als explodiere Eis in seinem Innern. Er konnte es nicht glauben, und er fürchtete sich. Professor Manasse war einer der größten Strafverteidiger vor italienischen Gerichten gewesen, ein Anwalt mit einer Rhetorik von so elementarer Gewalt, daß unter ihrem Trommelfeuer kein Richter noch seinem eigenen Urteil trauen konnte. Er hatte nichts als seinen Verstand; seine Stimme war uninteressant und klanglos, seine Gebärden steif, und seine

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