Gott wuerfelt doch 1
Geschichte
hatte bundesweit Aufsehen erregt. Fernsehen, Radio, Zeitungen: In den nächsten
Tagen wurde immer wieder von dem ‚Fall Landes’ berichtet. Die Menschen und
Medien drehten an meiner Vergangenheit und passten alles so an, wie es den
Redakteuren am lukrativsten erschien, ihre Auflage oder Einschaltquote zu
heben.
Der Justizminister
von Nordrhein-Westfalen wurde interviewt und sagte, er persönlich würde dafür
sorgen, dass dieser Prozess unter allen Vorsichtsmaßnahmen fair aber gerecht
ablaufen würde. Er habe dafür gesorgt, dass ich vorerst isoliert werde. Das kam
gut an bei den Wählern.
Meine Gedanken
waren irgendwann wieder bei Anna, ich sah sie vor mir, sobald ich die Augen
schloss. Ich lag rücklings auf dem harten Bett, dachte an die Vergangenheit und
war mir sicher, dass sie mich niemals verraten hätte, nein, sie hätte mich
verteidigt, nicht an mir gezweifelt, da war ich mir sicher.
*
Es war der 1.
September 1993 und der erste Tag der Beweisaufnahme vor der großen Strafkammer
des Landgerichts Aachen im Prozess gegen Konrad Landes, der zu diesem Zeitpunkt
bereits fünf Jahre tot war.
Der schlanke,
großgewachsene Richter war rechts und links von zwei korpulenteren Kollegen
eingefasst, an deren Seiten jeweils eine Schöffin und ein Schöffe saßen. Die
Richter und die Schöffen hatten sehr ernste Gesichter, wie es bei einem Fall
wie meinem wohl üblich war.
Der Staatsanwalt
saß vor einem hellen Fenster, ich hockte ihm - hinter einem kleinen Holzgitter
- genau gegenüber. Sein Gesicht konnte ich kaum erkennen, denn er hatte das
Licht im Rücken. Neben mir stand ein Wachmann. Schräg vor mir saß mein Anwalt.
Ich fühlte mich elend.
Meine Vernehmung an
diesem ersten Verhandlungstag geriet zu einer Farce. Nachdem der Richter mich
noch einmal zu meiner Person befragt hatte, nahm mich der Staatsanwalt ins
Kreuzverhör.
Der Staatsanwalt
war bestens vorbereitet. Er führte mich in mehrere Fallen direkt hinein. Die
Antworten, die folgten, schienen sich in einen Berg von Widersprüchen zu
verstricken, obwohl ich in keinem Punkt die Unwahrheit sagte. Die Tatsache
allein, dass ich nach wie vor behauptete, ich zu sein, machte die
Verständlichkeit der Situationen für Außenstehende sehr schwierig, weil ja alle
davon ausgingen, ich wäre Konrad, und nur ich hatte das Bewusstsein dafür, dass er in Wahrheit der Getötete war. So wurde jede kleine Aussage von mir
empfunden, als täusche ich anscheinend schon bei meinem Selbstverständnis, als
wäre alles Lüge. Ich löste Empörung bei den Zuschauern aus, so dass der Richter
einige Male zur Ordnung rufen musste.
Die Bruderliebe,
die ich ins Spiel brachte, schien den Richter anfangs zu beeindrucken. Doch der
Staatsanwalt konnte diese Behauptung schnell entkräften: Selbst wenn es stimmen
würde, was ich behauptete, wäre es ja wohl absurd, von Bruderliebe zu sprechen,
wenn ein Bruder Zeuge des Mordes an seinem Zwilling geworden wäre und diesen
über einen so langen Zeitraum verschwiegen hätte. Das wirkte glaubwürdiger als
meine Aussage.
Als ich beschrieb,
dass Konrad von Weiser erschossen worden war, wurde ich angemahnt. Ich blieb
dabei. Weiser aber hatte ein wasserdichtes Alibi vorlegen können. Es gäbe
mehrere Zeugen, und das sei sehr genau überprüft worden, sagte der Staatsanwalt.
„Alte Stasi-Seilschaften“, dachte ich.
Mein Anwalt
versuchte dann durch Fragen, die genaue Kenntnisse aus meiner Jugend zeigen
sollten, meine Glaubwürdigkeit zu heben. Doch all diese Fakten hätte Konrad
auch wissen können, wenn man ihn gut informiert hatte, und ich wusste ja
bestens, dass das tatsächlich so gewesen war: Konrad hatte nahezu alles
gewusst, was mein Leben betraf.
Schließlich gab es
einen sehr seriös wirkenden Gutachter, der die zahnmedizinische Untersuchung
der Leiche vortrug. Es spreche alles dafür, dass es sich um das Gebiss handele,
dass wohl zu Walter Landes gehörte. Auf die Frage, ob man mit letzter
Sicherheit ausschließen könne, dass es sich um das Gebiss eines
Zwillingsbruders handele, antwortete der Gutachter: „Mit letzter Sicherheit nicht.
Jedoch nur nicht, wenn sie beide zur selben Zeit gleich arbeitende Zahnärzte
gehabt haben!“
Damit war ich so
gut wie erledigt.
Nach meiner
Einvernahme und Befragung durch den Richter waren als erste Zeugen meine Eltern
nacheinander aufgerufen worden. Der Staatsanwalt hatte klargestellt, dass die
Leiche, die man auf Kreta gefunden hatte, eindeutig und unzweifelhaft Walter
Landes
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