Gottes blutiger Himmel
dich lebt.«
Ich blickte erschrocken zu Samer. Das war nicht mein Sohn. Das war Emir Abdallah der Syrer, ein Selbstmordmissionar, ein Mann, den ich nicht kannte, der mir und sich selber fremd war, nichts verband mich mit ihm außer einerelenden Blutsverwandtschaft. Es war, als hätte ich ihn nun zum zweiten Mal verloren und mit ihm alle Hoffnung. Er gehörte zu einer Welt, die ich ablehnte, er ging mit Träumen von Himmelspalästen und Paradiesesjungfrauen hausieren, drehte anderen Illusionen von einer schönen, unbekannten Welt an, die nichts war als Schein, und bekam dafür Menschenleben. Ich erhob mich, ohne ein Wort zu sagen, und ging hinaus.
10
Samer schickte mir den Jungen mit der verkrüppelten Hand, ich solle doch bitte zu ihm kommen, aber ich wollte ihn nicht sehen. Es war noch immer drückend heiß und feucht, obwohl der Abend bereits anbrach. Ich ließ ausrichten, ich wolle heute früh zu Bett gehen, doch Abu Muadh bestand darauf, dass ich ihn sofort begleitete. Abdallah der Syrer hatte ihm eingeschärft, keinesfalls ohne mich zurückzukommen. Ich musste also mit.
Als Samer mich kommen sah, ließ er die Gruppe stehen, die um ihn geschart war. Wir gingen ein wenig in die Dunkelheit hinaus und nahmen einen Weg, der in ein Dickicht führte. Ich wollte nichts von ihm hören und auch nicht noch einmal versuchen, ihn umzustimmen. Ich wollte mich nur noch von meiner Bedrückung befreien, ich wollte reden, nicht er sollte es tun, ich wollte meine Stimme, nicht seine hören. Ich wollte klagen, ohne eine Erwiderung zu bekommen, wollte mich von der Bürde der Enttäuschung und der Bitterkeit unerfüllter Hoffnung befreien.
»Ich bin in den Irak gekommen, um dich nach Damaskus zurückzubringen«, hob ich an. »Ich habe tiefe Schuldgefühle dir gegenüber. Es schmerzt mich, dass ich dich über viele Jahre vernachlässigt habe, statt dir Orientierung fürdein Leben zu bieten. Ich wollte das wiedergutmachen, und ich hätte mein Leben dafür gegeben. Ich sah es als die beste Art der Sühne dafür, dass ich meiner Verantwortung dir gegenüber nicht gerecht geworden bin, auch wenn es mich nicht frei von Schuld gemacht hätte. Aber heute habe ich gesehen, dass es keinen Sinn hat. Was ich falsch gemacht habe, ist nicht wiedergutzumachen, und meine Verzweiflung könnte größer nicht sein. Willst du mir nicht mit einem Wort etwas Trost geben oder mich spüren lassen, dass es zumindest noch ein klein wenig Hoffnung gibt? Sag, kannst du das?«
»Es ist zu spät.«
»Ich weiß, dass du sehr weit gegangen bist. So weit, dass ich Schwierigkeiten habe, dich wieder zurückzuholen.«
Er wollte mich unterbrechen. Ich hielt mich zurück, um nicht zu schreien, so sehr ärgerte ich mich über seine Gleichgültigkeit gegenüber meinen Gefühlen. Mit vor Wut stockender Stimme fuhr ich fort: »Was du tust, sind Verbrechen! Und was sollte dieses Theater vom Paradies heute Mittag? Wer war denn mal dort, hat es angeschaut und ist dann wiedergekommen, um es so genau zu beschreiben? Solche Lügen sind gleichbedeutend mit vorsätzlichem Mord!«
»Diese Männer«, erklärte Samer, »haben ihre Familien, ihre Frauen und ihre Kinder verlassen. Sie haben ihre Heimat, ihre Arbeit und ihre Freunde aufgegeben und sind von weit her gekommen, um sich zu opfern. Glaubst du nicht, dass auch sie manchmal Angst vor dem befällt, was sie zu tun im Begriff sind? Und dass sie gleichzeitig nicht den Mut haben, ihren Entschluss rückgängig zu machen? Soll ich sie dann ihren Ängsten überlassen, oder soll ich ihre Herzen und ihre Moral stärken? Sollte ich sie nicht in ihrem Glauben daran stützen, dass sie dafür mit dem Paradies belohnt werden? Wie das Paradies nun genau aussieht, darüber müssenwir nicht streiten. Es ist ein Ort des Glücks. Du kannst dir das Glück vorstellen, wie du magst.«
»Und woher willst du wissen, und woher sollen sie wissen, was sie tatsächlich erwartet?«
»Gottes Buch, der Koran, gibt mir und ihnen die Antwort.«
»Gibt es im Koran nicht auch eine Sure, die zum Gehorsam gegenüber den Eltern auffordert?«
»Warum?«
»Weil ich möchte, dass du mit mir zurückgehst.«
»Wenn der Dschihad ruft, hat ein Vater keine Gewalt mehr über seinen Sohn. Kein Geschöpf darf Gehorsam leisten, wenn es sich dadurch gegen seinen Schöpfer stellt. Ich werde dir nicht gehorchen, denn ich würde mich gegen Gott versündigen.«
»Das tust du bereits, und du gehorchst dem Satan, wenn du Freiwillige zu zwei Grundsünden anstiftest,
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