Gottes blutiger Himmel
darauf gewesen,dass die Schiiten, so die Behauptung, mit den Amerikanern gemeinsame Sache machten. Sie hatten vor einer Polizeiwache, in einem Café, das von Kollaborateuren besucht wurde, und an einem Busbahnhof stattgefunden. Und alles war Dschihad, getan, um Gott zu gefallen. Samer lief eine Träne über die Wange. Erst gestern hatte er mit dem Märtyrer aus seiner Gruppe sein Testament abgefasst. Dieser war glücklich gewesen und hatte Gott gebeten, ihm eine Wohltat zu erweisen, indem er möglichst viele Ungläubige und Komplizen der Besatzer zu Tode kommen lassen und ihm, dem Attentäter, Eingang ins Paradies gewähren möge.
Samers Tränen rührten mich nicht. Ich nahm an, dass dieser umfangreiche Nachruf der Situation geschuldet war, aber als er immer beseelter und tränenreicher von ihnen sprach, musste ich erkennen, dass ihm die Sache tatsächlich naheging. So hatte ich ihn als kleines Kind gekannt, so war er gewesen, wenn ihm etwas abhandengekommen war, nur worüber hatte er damals geweint? Als ihm als Fünfjährigem einmal seine Eisenbahn kaputtging, erfüllte sein Geheul das ganze Haus. Später schluchzte er hemmungslos, als er das Abitur nur knapp bestand oder als ihn seine Freundin kurz vor seinem Universitätsstudium sitzenließ, oder als er, noch etwas später, eine andere verließ, weil sie den veränderten Ansprüchen seines neuen Lebens nicht mehr entsprach. Und jetzt, da er fromm geworden und in den Lehren seines Glaubens bewandert war und bewaffnet kämpfte, vergoss er Tränen für Selbstmörder, und die Trauer, die ihn ergriff, würde seine Entschlossenheit nur steigern.
Er litt unter seinen Gefühlen, er versuchte sie zu verbergen, aber sie übermannten ihn. Samer war nicht mehr anwesend, er war bei seinen toten Kameraden, er nahm Abschied von ihnen mit Leid im Herzen, mit Worten des Kummers, der Bewunderung und des Neides darüber, dass sie dawaren, wo er noch hinstrebte. Er fuhr sich übers Gesicht, erwähnte die Lauterkeit der dahingegangenen Gefährten und wünschte ihnen, der Paradiesesgärten teilhaftig zu werden. Nun waren auch die Bärte der im Raum Sitzenden tränennass, ihre Gesichter düster, aber schon hellten sie sich wieder auf, als Samer darauf verwies, dass auch sie bald die Wohltaten des Paradieses würden genießen können. Nur Abu Ubada saß weiter mit hängendem Kopf da, und Tränen tropften ihm vom Kinn.
Ein Fernsehapparat in der Ecke des Raumes übertrug die Nachrichtensendung. Sie begann mit Bildern von Sanitätswagen, die mit eingeschalteter Sirene durch die Straßen rasten. Alle schwiegen und starrten gebannt auf den Bildschirm. Es waren Bilder von dem Autobombenanschlag am Busbahnhof. Ein Bus lag auf der Seite, man sah Hände und Köpfe heraushängen, Betonmauern waren eingestürzt und lagen in Trümmern, Schaufenster und Fassaden waren aufgerissen, Kioske verbrannt, ein Dutzend Leichen lag inmitten von Tomaten, Auberginen, Gurken und Datteln, die über den Platz verstreut waren. Die Kamera zeigte, wie sich eine Frau in Feuer und Rauch verzweifelt aufs Gesicht schlug, neben ihr stand ein kleiner Junge mit zerzaustem Haar und zerrissenen Kleidern, Verwundete krochen umher, schreiend vor Schmerz und um Hilfe rufend, Männer bedeckten die Leichen mit weißen Tüchern, Blutlachen vermischten sich mit Öl, Ruß und Dreck, Männer- und Frauenschuhe lagen herum, ein junger Mann suchte jemanden unter den Opfern, Körperteile waren von der Explosion auf Bäume und Balkone der umliegenden Gebäude geschleudert worden, Männer und Frauen trugen verletzte Kinder eilig zu Ambulanzwagen, Polizisten brüllten in Mobiltelefone, und ein Helikopter kreiste so tief über dem Platz, dass er fast die Dächer der Häuser berührte.
Der Fernsehsprecher sagte, die Busstation sei zu dieser Tageszeit meist voller Arbeitspendler, Gemüsehändler, Textilverkäufer, fliegender Bartschneider und Schuhputzer. Dann schwenkte die Kamera auf das Auto, das der Attentäter zur Explosion gebracht hatte. Es lag auf dem Dach und war nur noch ein Haufen Schrott. Im Inneren sah man die Überreste des Fahrers, eine verkohlte Leiche, die mit dem schwarzen Metall ringsum verschmolzen zu sein schien. Samer rief: »Gott hab dich selig, Abu Salih, mögest du im Paradies weilen!«
Mir blieb ein Schrei im Hals stecken. Es war also der junge Algerier, den mein Syrer heute Morgen im Dorf abgesetzt hatte! Mir kam ganz kurz sein freundlicher Umgang in den Sinn, als er mir Essen gebracht hatte. »Onkel« hatte er
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