Gottes blutiger Himmel
nämlich Mord und Selbstmord. Kein religiöses Gesetz erlaubt das Töten. Ich kenne den Koran als ein Buch des Friedens, nicht des Kriegs, als ein Buch der Barmherzigkeit und der Liebe, nicht als ein Buch, das Gewalt und Fanatismus lehrt. Wenn du den Koran einmal so läsest, würdest du den wahren Geist der Religion ergründen.«
»Und warum kümmert dich der Geist dieser Welt nicht? Wir töten andere, so wie sie uns töten.«
»Und was ist mit all den unschuldigen Menschen, die ihr mit euren Attentaten abschlachtet? Unbeteiligte Zivilisten sind sie, unter ihnen alte Leute, Frauen und Kinder. Meistens jedenfalls.«
»Die Religion zu wahren hat Vorrang vor der Wahrung von Menschenleben.«
»Als ob nicht beides ginge!«
»Uns ist aufgegeben, den Feind zu bekämpfen, da ist esgleich, ob unschuldige oder schuldige Menschen sterben. Wir tragen keine Verantwortung dafür, wenn sie sich am falschen Ort befinden, und vielleicht sind sie ja auch am richtigen Ort, wer will das wissen? Wir alle sind Gottes Gnade anheimgegeben, und er lässt seine Vorsehung walten. Er allein bestimmt über uns und alle anderen Menschen. Wer für den Feind arbeitet, kommt in die Hölle, und der Märtyrer ins Paradies.«
In der Dunkelheit konnte ich sein Gesicht nicht sehen. Ich stellte es mir noch immer so sanft vor, wie ich es früher gekannt hatte. Er starrte in die Nacht auf etwas, was ich nicht sah. Ich bekam Angst, dass er mir nicht mehr zuhören würde. Während meine Stimme zitterte, sprach er in tiefer Tonlage, so selbstsicher und bestimmt, als könnte nichts seinen Glauben an das, was er sagte, erschüttern. Wieder empfand ich diesen Verlust. Er war mein Sohn, aber er war mir weggenommen worden. Er war mir fern, er widersetzte sich mir und lehnte sich gegen mich auf. Was sollte mein Bitten dagegen ausrichten? Über mich selbst spottend, sagte ich: »Und dafür bin ich diesen weiten Weg hergekommen!«
»Ich habe dich warnen lassen. Hat man dir nicht gesagt, du sollst umkehren?«
Mich überkam ein seltsames Gefühl. Ja, er hatte recht. War ich nicht aufgefordert worden zu verschwinden, als ich einmal mit Fadhil die Rashid-Straße entlanggegangen war?
»Du hast mir also diesen Mann geschickt, der mich im Gedränge angerempelt hat?«
»Wer sonst? Jemand hatte uns ein Bild von dir vorgelegt, daher wusste ich, dass du im Irak bist. Ich wollte, dass du so schnell wie möglich wieder abreist und dir und mir diese Diskussion ersparst.«
»Warum hast du mich dann gerettet?«
»Da du offenbar unbedingt im Irak bleiben wolltest, nahmich an, du wolltest mich unterstützen. Oder dich mir sogar anschließen.«
»Und ich dachte schon, du würdest sagen: Weil du mein Vater bist. Ich weiß nicht, ob ich um dich trauern oder mir selbst leidtun soll.«
»Du wirst dich mit irgendetwas anderem trösten müssen.«
»Was soll mich darüber hinwegtrösten, dich verloren zu haben?«
»Genug jetzt. Ich will dich auch nicht gänzlich verlieren.«
»Wer soll mir dich ersetzen?«
»Wenn du gläubig wärst, würdest du verstehen, welchen Segen ich hier erlangt habe, und brauchtest auch keinen Ersatz, denn du wärst selbst voll der größten Freude. Aber davon bist du weit entfernt. Du weißt nicht, was es heißt, sicher im Glauben zu stehen.«
»Und was ist damit, dass ich dein Vater bin?«
»Setze mich damit nicht unter Druck. Du lebst in einer Welt der Unwissenheit.«
»Nur damit du dir nicht zu viele Hoffnungen machst: In dieser Welt hier gibt es keinen Gott, und wahrscheinlich gibt es auch keinen Himmel und keine Hölle. Also lüg dich selbst und andere nicht an.«
»Du bist ein Gottesleugner!«
»Sei dir da mal nicht so sicher. Ich kann selbst nicht mit Bestimmtheit sagen, was in meinem Herzen ist. Ich werde dir etwas verraten, was mich selbst vor ein Rätsel stellt. Ich hatte gedacht, mich von jedem Glauben gelöst zu haben, seit ich allein der Vernunft vertraue. Aber als ich entführt wurde, hat die Angst mich wieder gläubig gemacht. Gegen meinen Willen! Und es war nicht nur ein Angsterlebnis, es war eine erschreckende Erkenntnis. Ich will nicht übertreiben, und vielleicht irre ich mich ja auch. Aber kam da vielleicht jener Glaube zum Vorschein, den wir sonst aus Hochmut vor unsselbst verbergen, der aber trotz allem tief in uns steckt? Sicher bin ich mir nicht, und ich will jetzt auch nicht darüber nachdenken, weil ich mir sonst ins Gedächtnis rufen müsste, was ich durchgemacht habe, und dazu bin ich noch nicht bereit. Wie dem auch
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