Gottes blutiger Himmel
rufen. Wir gingen zum Gästehaus, ich grüßte die Versammelten und setzte mich. Es war ein großer Raum, in den durch acht Fenster Licht fiel. Draußen sah man Bäume mit vertrockneten gelben Blättern. Stoßweise kam so heiße Luft herein, dass man kaum atmen konnte. Alle saßen auf kleinen Teppichen auf dem Fußboden und lehnten sich an die Wand. Das Essen war noch nicht aufgetragen. Neben Samer saßen fünf Neuankömmlinge, ein Tunesier, ein Marokkaner, ein Algerier und zwei saudische Brüder. Kurz nachdem ich eingetreten war, stieß noch ein etwa zwanzigjähriger Iraker namens Abu Ubada dazu, der gerade angekommen war. Einer der Alteingesessenen ließ sich die Telefonnummern der Freiwilligen von zu Hause geben, damit er deren Familien später mitteilen konnte, dass ihre Söhne im Irak angekommen beziehungsweise gestorben seien. Ins Paradies eingegangen, nannte er es. Währenddessen bedienten uns drei Knaben und stellten Schüsseln mit Essen vor uns. Abu Ubada war der Einzige, der keineTelefonnummer nennen konnte, weil seine Familie auf der Flucht war.
Der Tunesier Abu Hudhaifa war von allen am glücklichsten darüber, im Irak zu sein. Er war zu Hause seiner Festnahme entgangen; mindestens drei Jahre Haft hatten ihm gedroht, weil er verdächtigt wurde, Glaubenskämpfer zu rekrutieren. Also musste er selbst abtauchen. Sein Bruder war schon vor zwei Monaten hergekommen und in der Schlacht um Ramadi gefallen. Abu Hudhaifa war höchstens dreißig. Er hatte sein Geld mit einem Kleintransporter verdient, welchen er zum Abschied seinem frischverheirateten jüngeren Bruder überlassen hatte, auf dass dieser damit nun zwei Familien ernähre. Er selbst hatte drei Töchter, von der Geburt seines Sohnes hatte er kurz vor seiner Ankunft im Irak erfahren. »Die Nachricht von Hudhaifas Geburt hat mich nur noch entschlossener gemacht, hierherzukommen«, sagte er.
Der Algerier Abu Aiham war mit Samer noch nicht darüber einig geworden, ob er als Selbstmordattentäter eingesetzt werden sollte. Er bot sich als bewaffneter Kämpfer an. Seine Staatsangehörigkeit war französisch, er war in Paris geboren, hatte die Schule abgebrochen, war nach Algerien gegangen und hatte sich dort einer Untergrundgruppe angeschlossen. Er hatte den Umgang mit Waffen, das Herstellen von Bomben und Guerillataktiken gelernt. Seine Kollegen versuchten ihn umzustimmen: Märtyreroperationen seien viel effektiver, ein Einziger könne da gleich Dutzende verletzen und töten, ganz abgesehen von dem Schreck und dem Grauen, die man Kollaborateuren und Ungläubigen damit einjage. Außerdem könne der Täter nicht mehr festgenommen und gefoltert werden. Ein offenes Gefecht dagegen koste viel mehr Kämpfer, und man könne nicht einmal sicher sein, Gegner zu treffen. Der Marokkaner und die beiden Saudis hatten dem Emir von Beirut bereits geschworen, als Märtyrersterben zu wollen; die Brüder hatten sich lediglich ausbedungen, ihre Operation am selben Tag auszuführen.
Samer nahm kaum am Gespräch teil, er beobachtete. Als das Essen kam, unterbrach er die Diskutierenden, klopfte dem Algerier auf die Schulter und sagte: »Was Gott uns erwählt, das kann nur das Beste sein.«
Wir begannen zu essen. Nur Abu Ubada, der auch während des Gesprächs mit hängendem Kopf dagesessen und geschwiegen hatte, rührte keinen Bissen an, weil er angeblich auf dem Herweg schon gegessen hatte.
9
Kurz bevor wir zu Ende gegessen hatten, eilte ein Bewaffneter herein, beugte sich zu Samer und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Samer reagierte, indem er den Kopf hob und im Ton einer frohen Botschaft sagte: »Gott sei gepriesen! Dies ist ein segensreicher Tag!« Er hatte soeben erfahren, dass fünf Märtyreranschläge erfolgreich durchgeführt worden waren: drei in Bagdad, einer in al-Hilla und einer in Mossul. Samers Emirat hatte einen dazu beigesteuert. Dies gab ihm nun Gelegenheit, von den Tugenden und der Tapferkeit der Märtyrer zu schwärmen, die sich bei diesen Anschlägen geopfert hatten und von denen er selbst drei gekannt hatte. Einer der Attentäter hatte sich in einem mit Sprengstoff gefüllten Auto am Checkpoint des Innenministeriums in die Luft gesprengt. Es war ein Racheakt, nachdem angeblich zwei Mitglieder von al-Qaida in den Kerkern des Ministeriums erschossen worden waren. Der zweite Anschlag war von einem ausgeführt worden, dessen Bruder vor eineinhalb Monaten im Abu-Ghuraib-Gefängnis unter Folter gestorben war. Die übrigen drei Selbstmordattentate waren eine Antwort
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