Gottes blutiger Himmel
wollen, verdrängte ich, was mich beunruhigte, so als ob ich etwas, was ich eigentlich hätte in Ordnung bringen müssen, unbewusst kaputtgehen lassen wollte. Meine Laune war getrübt. Ich kannte Sanas Verhalten recht gut, auch wenn ich es erst lange Zeit nach Beginn unserer Beziehung begriffen hatte. Sie hatte zuweilen Angst, die Dinge beim Namen zu nennen, und begnügte sich mit Andeutungen.
Ich hatte sie drei Jahre zuvor kennengelernt, als ich in einem Überlandbus nach Aleppo neben ihr saß. Sie wollte eine Freundin besuchen, und ich war unterwegs zu einem Interview, das ich mit einem ehemaligen islamischen Aktivisten führen wollte, der aus der Haft entlassen worden war. Sie war siebenunddreißig, sah aber jünger aus, während ich älter wirkte, als ich tatsächlich war. Daher nahm sie nicht an, dass ich sie belästigen wollte, als ich sie ansprach. Wir unterhielten uns höflich über dies und jenes, erst über das Wetter, dann über Bücher und kommentierten schließlich die aktuelle politische Lage. Die Amerikaner hatten den Irakbesetzt, und wir entsannen uns, wie Bagdad ein paar Monate zuvor gefallen war. Von beginnendem Widerstand war die Rede, aber wir hielten dies vorerst für Gerüchte. Wir waren nicht immer einer Meinung, aber wir stritten auch nicht.
Sana hatte keine Arbeit. Sie hatte ein Studium der Politikwissenschaften abgeschlossen, dann aber geheiratet, bevor sie eine Stelle gefunden hatte, und sich dem Eheleben, dem Lesen von Büchern und Träumereien hingegeben. Die Ereignisse der Region verfolgte sie nur, weil sie Politik studiert hatte. Wir verbrachten eine angenehme Zeit miteinander und merkten kaum, dass die Fahrt viele Stunden lang dauerte. Auf einem kleinen Bildschirm, der vorn im Bus an der Decke aufgehängt war, lief eine äg yptische Komödie, von der wir hin und wieder zufällig ein paar witzige Szenen erhaschten. Unversehens brachten uns unsere persönlichen Sorgen, die wir uns berichteten, einander näher, obwohl wir in sehr unterschiedlichen Welten lebten, die jeweils mit großen Widrigkeiten verbunden waren. Das Gespräch mit ihr nahm mir etwas von dem Leidensdruck, unter dem ich stand. Ich hatte vor kurzem beschlossen, mich scheiden zu lassen, und es meinen Kindern offenbart. Es war für mich, aber auch für die beiden sehr hart gewesen. Sie warfen mir vor, die Familie auseinanderzureißen, und ich verteidigte mich nicht dagegen.
Als wir in Aleppo ankamen, hatten wir beide noch etwas Zeit, und ich lud Sana zu einem Kaffee ein. Sie nahm an und verhehlte mir nicht, dass es sie freute, mich kennengelernt zu haben. Ich mochte sie auch. Sie wirkte stark und schien sich nicht darum zu kümmern, was andere über sie sagten. Auch sie hatte sich noch nicht ganz von den Folgen einer unglücklichen Beziehung befreit, die schließlich gescheitert war. Ihre Ehe hatte sich jahrelang in gemeinsam gelebter Trägheit hingezogen, aber sie hatte nicht den Mut gefunden,die Scheidung zu verlangen, obwohl ihr Mann sie wiederholt betrog. Eine geschiedene Frau sei eben schlecht angesehen und werde von jedem Dahergelaufenen als Freiwild betrachtet. Dazu kam, dass sie auch deshalb an ihrer Ehe festhielt, weil sie das Ergebnis eines amourösen Abenteuers gewesen war, das sie für eine Art Errungenschaft hielt, die man nicht herschenken durfte. Ihr Festklammern hatte sie viel Schmerzen gekostet.
Erst nach einer langen Zeit der Demütigung wurde ihr klar, dass ihr Liebesepos mit jenem Mann nur die Folge jugendlicher Schwärmerei gewesen war, in der sie naiv seinen Reizen erlegen war. »In meinem damaligen Alter«, erzählte sie, »erschien mir die Liebe als ein wunderbares Abenteuer, für das es sich lohnte, zu leben oder zu sterben.« So weit kam es dann doch nicht. Sie erkannte, dass sie sich nur unglücklich verliebt hatte. Und was sie immer furchtsam von sich weggeschoben hatte, musste sie nun tun. Ihr Mann hatte sie immer weiter gedemütigt, um sie damit zur Scheidung zu drängen. Sie konnte kaum fassen, wie widerwärtig er mit ihr umging, bis er sie schließlich vor eine Entscheidung stellte, die für sie indiskutabel war. Entweder sollte sie verschwinden oder sich damit abfinden, dass er eine zweite Frau heiratete.
Was mich am meisten an ihr interessierte, war ihr reiches Innenleben. Sie schrieb Gedichte, aber keine Variationen abgedroschenen romantischen Schmerzes, sondern sie erschuf in ihnen ein Traumleben, das sich aus launischer Schüchternheit, Bedrücktheit und Leidenschaft speiste, gepaart
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