Gottes blutiger Himmel
Haradsch-Viertel ginges ebenfalls laut zu. Es war nicht sehr viel anders als auf den Märkten Buzuriye, Miskiye oder Nahhasin in der Altstadt von Damaskus. In der Mutanabbi-Straße war mir, als läge das Rascheln von Papier in der Luft. Eine Straße der Buchhandlungen wie früher war sie jedoch nicht mehr, eher eine Ansammlung von Schreibwarenläden und -ständen. Fadhil lud mich auf einen Tee ins Shahbandar-Café ein.
Wir begrüßten die Anwesenden, von denen Fadhil einige Stammgäste kannte. Es waren einheimische Journalisten, Dichter, Schriftsteller und pensionierte Beamte. Manche rauchten Zigaretten, andere Wasserpfeife, sie saßen auf Wandbänken aus Holz, sprachen miteinander und blickten von Zeit zu Zeit durch die großen Fensterscheiben auf die Straße, wo das Leben nie stillstand. An den Wänden hingen gerahmte Bilder von alten irakischen Literaten, Politikern, Offizieren und Religionsgelehrten mit Tarbusch, König-Faisal-Schiffchen und Turban. Deckenventilatoren drehten sich, ohne die Hitze zu mildern. Die Gespräche kreisten um die Nachrichten des Tages, die dieselben waren wie tags zuvor. Was habe sich denn geändert im Vergleich zu Saddams Herrschaft? Nicht viel, nur die Korruption grassierte schlimmer als zuvor. Milliarden von Dollars, die für den Wiederaufbau des Irak bestimmt waren, flossen Unternehmen zu, die gute Beziehungen zur US-Regierung hatten. Im Irak profitierten davon nur die kollaborierenden Eliten, die sich die Gebäude der Baath-Partei, Hotels, Schulen und ganze Wohngebiete angeeignet hatten. Während überall extreme Sicherheitsvorkehrungen getroffen wurden, raubten sie Gelder, monopolisierten für sich horrende Provisionen für die Vermittlung von Jobs und umgaben sich mit treu ergebenen bewaffneten Personenschützern. Und wer zahlte dafür? Absolute Korruption war das, Korruption im Wortsinn.
»Früher wurden höchstens einmal einige Millionen gestohlen, heute sind es Hunderte von Millionen!«
Die Diskussion wurde lautstark und in einem breiten irakischen Dialekt geführt, der provokant klang. Ich verstand nicht, worüber sie so stritten, wo sie sich doch einig waren, dass sie die Diebe, die auf amerikanischen Panzern ins Land gekommen waren, verabscheuten. Von Zeit zu Zeit hörte ich aus der Ferne Gewehrfeuer und Explosionen oder bildete es mir zumindest ein und konnte ihnen dann nicht mehr zuhören. Ihnen war es gleichgültig, sie waren daran gewöhnt. Nach einer Weile begriff ich, dass sie immer so nervös und erregt sprachen, egal ob sie sich gerade empörten oder nicht. Einer der Gesprächsteilnehmer hätte im Überschwang der Debatte beinahe mit der Hand den ganzen Tisch mitsamt dem Beistelltischchen und allen darauf befindlichen Wasserkrügen, Teegläsern und Aschenbechern abgeräumt.
Die bisher schon deutlich geäußerte Kritik nahm sich jedoch gemäßigt aus im Vergleich zu dem Gespräch, das jetzt über die Einnistung von al-Qaida im Stadtzentrum von Bagdad als Reaktion auf schiitische Todesschwadronen folgte. Die konfessionelle Trennung der Wohnviertel nahm immer mehr zu, und sunnitische Milizen zwangen den von ihnen kontrollierten Stadtteilen ihre Regeln auf. Eine »Versammlung der Dschihadkämpfer« hatte die Gründung zweier islamischer Emirate verkündet, eines in Dura und das andere in al-Amiriya, und verteilte Flugblätter, die den Frauen untersagten, ohne Gesichtsschleier vors Haus zu treten, den Männern, sich das Kinn zu rasieren, und den Jüngeren, Shorts oder Jeans zu tragen. Die schiitischen Milizen konzentrierten sich unterdessen auf den Osten Bagdads, wo sie schwarzgekleidete Bewaffnete patrouillieren und Mädchenschulen und Regierungsbehörden kontrollieren ließen. Sie zwangen Frauen dazu, sich schwarze Umhänge überzuziehen,auch sie verbaten den Männern das Rasieren ihres Bartes und untersagten das Tragen bunter Kleidung an schiitischen Trauertagen. Die jeweiligen Stadtviertel wurden abgeriegelt und die Befolgung der religiösen Regeln darin gewaltsam durchgesetzt.
Diese Berichte wurden scherzhaft mit der Frage kommentiert, wann sie wohl die Rashid-Straße in zwei Hälften teilen würden und wem dann das Café Shahbandar gehören würde. Aber was dann passieren würde, wäre nicht mehr lustig. Die Scharia würde niemanden verschonen. Die grausamsten Dinge waren denkbar geworden, wenn irgendwann tatsächlich das Religionsgesetz angewandt würde. Dem Dieb würde die Hand abgehackt, und Ehebrecher, Männer wie Frauen, würden zu Tode gesteinigt. Was
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