Gottes blutiger Himmel
also war so seltsam daran, dass sie dazu aufriefen, Mädchen nicht mehr zu unterrichten und sie zu Hause einzusperren, oder dass sie auf Friseurläden schossen, in denen Bärte rasiert wurden? War es nicht nur logisch, dass sie Anschläge auf Spielsalons und Kinos verübten, Spirituosenhändler ermordeten und Läden anzündeten, die angeblich anstößige Musik-CDs verkauften? Freue dich, Bagdad! Bald würde es wohl weder Musik noch Tanz noch Gesang mehr geben.
Und schnell waren sie bei den neuesten Nachrichten und Gerüchten: öffentliche Hinrichtungen am helllichten Tag! Eine Frau sollte ermordet worden sein, weil sie ein Geschäft betrieb, in dem auch Männer kauften. Fünf bei einer Bank beschäftigte Frauen, die kein Kopftuch getragen hatten, wurden mittags aus dem Bus gezerrt, der sie nach Hause bringen sollte. Vor den Augen ihrer Kolleginnen erschossen bewaffnete Vermummte sie, schnitten ihnen die Köpfe ab und warfen sie zur Warnung auf den Gehweg. Die tuchtragenden Kolleginnen wurden aufgefordert, ihren Bekannten zu erzählen, was sie gesehen hatten. Schließlich hindertensie noch die Angehörigen der Toten daran, die Leichname der Ermordeten an sich zu nehmen und zu bestatten.
Ohne sich abgesprochen zu haben, waren sowohl die sunnitischen als auch die schiitischen Milizen der Auffassung, dass die Tötung unverhüllter Frauen eine verdienstvolle Tat sei. Die von ihnen kontrollierten Gebiete waren ihrer Meinung nach von der dschahiliya , vom Leben im Unglauben, übergegangen in die Zeit der Herrschaft des Islams. Und so war es nicht verwunderlich, dass dort ein Scharia-Pöbel ungehindert sein Unwesen trieb.
Ich konnte den Irak nur als ein blindes Land wahrnehmen, das auf Messern durch Feuer ging, ein Land, in dem die Politik die Religion zu schändlichsten Zwecken missbrauchte, ein Land, in dem das Leben nur noch das Versprechen des Verderbens bereithielt, in dem gegenwärtig nichts als fortwährender grausamer Tod herrschte.
Wir setzten unseren Weg durch die Stadt ohne bestimmtes Ziel fort. Um mich herum lärmte es pausenlos, und das Gedränge nahm mir die Luft. In engeren Straßen gab es kein Durchkommen, unter Brücken türmte sich Müll, um den sich streunende Hunde scharten. Kinos waren geschlossen, und Stacheldraht hielt Passanten von Gebäude fern. Polizisten in blauen Uniformen schwammen in einem Meer von überbordendem Chaos und schufen zusätzlich Unordnung, nur um ein paar Dollars für sich dabei herauszuschlagen, indem sie sich in aller Öffentlichkeit bestechen ließen. Als hätte er meine Gedanken gelesen, erklärte Fadhil mir mit leiser Stimme den größeren Zusammenhang dessen, was ich sah.
»Diese Polizisten sind wie wir alle. Es sind Habenichtse, sie leben in Gefahr, und sie brauchen Geld für sich, ihre Mütter und ihre Kinder. Aber sie haben ebenso wenig Einfluss auf die Situation wie die Massen, die ehemals Saddam zugejubelthaben, oder die, die jetzt Parteien zujubeln, welche ebenso schnell verschwinden, wie sie entstanden sind. Unsere Regierenden haben Angst um ihr Leben und verstecken sich hinter hohen Mauern, die Besatzungsmacht wird streng geschützt, und weit weg in Übersee sitzen im Weißen Haus und im Pentagon die Kriegsplaner. Dieses Land wird von unsichtbaren Männern auf einem fernen Kontinent regiert.« Er blickte einen Moment ins Leere, dann lächelte er und fuhr fort: »Auch die Widerstandskämpfer sind unsichtbar, obwohl sie überall um uns herum sind. Sie kämpfen, sie töten, sie schlagen zu und verschwinden wieder. Der einzige Hinweis auf ihre Existenz ist die Zerstörung, die sie anrichten.« Er sah mich an. »Sind Sie am Widerstand interessiert?« – »Nicht sehr«, sagte ich.
Ich wollte nichts überstürzen. Fadhil ließ sich jedoch nicht länger abspeisen, er wollte jetzt wissen, warum ich nach Bagdad gekommen war. Deshalb tat er so, als habe er meine Antwort nicht gehört, und sprach weiter: »Es ist schwer zu sagen, wie viele Widerstandsgruppen es gibt. Vor allem weil jeden Tag neue unter neuen Namen entstehen. Manche davon existieren in Wirklichkeit gar nicht. Aber die meisten Gruppen betreiben nur Entführung und Raub.«
Ich spürte sein Misstrauen. Vielleicht war ich ja ein Agent der Bündnistruppen. Ich beschloss, seine Andeutungen zu unterbrechen, und sagte: »Mich interessiert weder der islamische noch der nationale Widerstand, egal ob er angeblich ehrenhaft ist oder nicht. Ganz offen gesagt, interessiert mich nur al-Qaida. Mein Sohn ist bei der
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