Gottes blutiger Himmel
tagtäglich Demütigungen, nicht nur der Einzelne, sondern seine ganze Familie, und er hat vielleicht keine Verdienstmöglichkeiten, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Ein solches Leben weiterzuführen bedeutet Erniedrigung, während die Selbstopferung dem Betroffenen als Verteidigung der eigenen Würde, ja seines Lebens erscheint. Ich weiß nicht, ob wir denselben Begriff von Heimat haben. Bei unseren Völkern gibt es die Auffassung, dass das eigene Land etwas ist, wofür es sich zu sterben lohnt. Und ich glaube, dass in solch einem Selbstmord etwas Rationales steckt, auch wenn der Entschluss dazu emotional getroffen wird.«
Miller schien ratlos. Er sagte: »Ich meine nicht, dass Selbstmord etwas Unerklärliches wäre. Aber er ist irrational, vor allem wenn jemand sein Leben hingibt, um andere zu töten. Kommt denn die Erhabenheit des eigenen Lebens darin zum Ausdruck, dass man es als Waffe einsetzt? Wasauch immer das Anliegen des Selbstmörders ist, kann es ihm wirklich wichtiger sein als sein Leben?«
Ich war nicht der richtige Gesprächspartner für eine solche Diskussion, und ich war auch nicht darauf vorbereitet. Meiner Meinung nach gab es auf der ganzen Welt kein Anliegen, für das jemand sterben sollte. Ich selbst hatte mein Leben früher für Ziele vertan, die mir wichtig erschienen waren, und was war geschehen? Meine Ziele wurden von denen verraten, die sie vertreten hatten. Das war schlimmer als ein Misserfolg. Das Schmerzliche ist, dass oft die nobelsten Zwecke nicht nur vergehen oder dem Vergessen anheimfallen, sondern dass sie Gegenstand von Spott und Witzeleien werden.
»Jeder Mensch hat die Freiheit, über sein Leben zu entscheiden«, sagte ich.
»Und was ist mit dem Leben der anderen?«
»Die anderen sind zufällig am falschen Ort und sterben. Man kann so etwas nur dann verteidigen, wenn man der Meinung ist, dass ein Selbstmordattentat so sinnlos wie das ganze Leben ist. Es sei denn, wir wollten es mit dem Schmerz und dem Glauben des Attentäters rechtfertigen.«
»Aber Selbstmord ist doch in eurer Religion untersagt. Trotzdem nennt ihr ihn Dschihad.«
»Die Sache ist etwas kompliziert. Als Märtyrer für die Sache Gottes zu sterben kann auch eine religiöse Pflicht sein. Aber wann die Bedingungen dafür gegeben sind, darüber wird heftig gestritten.«
»Ich glaube, dass eure Religion deshalb überzeugender ist als andere, weil sie stärkere Beweise für die Existenz Gottes anbietet. Deshalb sprengen sich Selbstmordattentäter in der Gewissheit in die Luft, dass sie ein anderes Leben erwartet, und sie tun dies umso lieber, als dieses andere Leben das Paradies ist.«
Ich versuchte Miller zu erklären, dass diese Sicht der Dinge eine Geringschätzung des Verstandes, des Glaubens und des Wahnsinns zugleich sei und dass ich sie für eine Propaganda hielt, der es in erster Linie darum gehe, die Wahrheit zu verschleiern, auch wenn mir klar sei, dass sich manche Leute dazu hinreißen ließen, sich mit dieser Motivation in die Luft zu sprengen. Am wahrscheinlichsten sei es, dass bei ihnen ein Verlangen geweckt werde. Sie glaubten, anstatt im Nichts zu enden, stünde ihnen ein neues Leben bevor, in dem sie belohnt würden. »Ums Paradies geht es hier aber nicht«, sagte ich, »sondern um erfahrenes Unrecht. Ein Mindestmaß an Gerechtigkeit, für das jeder Mensch ein Gespür hat und das auch erfüllbar ist, würde das Leben für viele Menschen erträglicher oder vielleicht sogar schön machen.«
Miller überlegte ein wenig. Aber anstatt auf meine Ausführungen einzugehen, kam er wieder auf das Thema Selbstmord zurück: »Ich glaube nicht, dass andere religiöse Völker genauso denken wie die Muslime.«
»Anderen Völkern wurde vielleicht nicht dasselbe Maß an Tyrannei von eigenen und fremden Herrschern angetan. Und denk daran, Richard, Selbstmord ist keine muslimische Erfindung.«
In diesem Moment kam Jonathan. Er war gerade mit Damey Freeman von der Menschenrechtsorganisation zusammengetroffen, und sie hatte ihm berichtet, was sie in Sachen der jungen Homosexuellen bewirkt hatte. Sie konnte einen der Betroffenen sprechen und ihn dazu überreden, sie in die Grüne Zone zu begleiten. Sie würde ihn morgen zu Jonathan bringen und sich von ihm die Namen und die Aufenthaltsorte seiner Freunde geben lassen, die mit Mord bedroht wurden. Sie wollte von Jonathan wissen, wie die verbündeten Truppen sich zu dem Problem verhalten würden. »Können wir ihnen helfen?«, gab Jonathan die Frage
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