Gottes blutiger Himmel
weiter.Miller nickte und sagte, sein vorgesetzter Colonel habe zugesichert, dass er das Einverständnis zu ihrem Schutz erwirken würde.
Die Nacht war trotz der Hitze und der Feuchtigkeit angenehm. Miller blieb in Gedanken versunken, während ich ein Gespräch mit Jonathan begann. Ich erzählte ihm von meinem kleinen Abenteuer mit dem Späher in der Rashid-Straße. Er warnte mich davor, mit einem amerikanischen Pass durch Bagdad zu laufen, und erwähnte aktuelle Berichte, nach denen es im Irak täglich durchschnittlich fünfzehn Entführungen gebe und die meisten davon mit der Zahlung von Lösegeld und dem Tod der Geiseln zugleich endeten. Ausländer seien auf dem Markt der Geiselnahmen besonders profitabel. Er selbst sei so ängstlich, dass er die Grüne Zone nur selten verlasse. Er wünsche sich, sagte er, dass die Angelegenheit mit den Homosexuellen das Letzte sei, womit er sich in Bagdad befassen müsse. Er wolle an diesem trostlosen Ort nicht sterben. Das Einzige, was ihm die Arbeit hier noch erträglich mache, sei die Aussicht, dass er bald zurück in die Heimat durfte.
»Wir sind hier nicht willkommen. Alles, womit sie uns hierhergelockt haben, waren Lügen von angeblichen Massenvernichtungswaffen und von Demokratie und Freiheit. In Wirklichkeit ist es ein Krieg, um billiges Öl zu bekommen.«
Miller ignorierte Jonathans wütenden Aufbruch. Er schien sich an seine Klagen gewöhnt zu haben, aber obgleich er so getan hatte, als hätte er ihm nicht zugehört, sagte er verärgert zu mir: »Ich bin kein Anhänger derer, die einen Krieg kritisieren, in dem unsere Soldaten getötet werden.«
Ich wusste noch immer nicht, warum Miller ohne Vorankündigung zu mir gekommen war. Aber plötzlich wandte er sich mir zu und zog ein Blatt Papier aus seiner Hosentasche.Er sagte: »Dieser Zettel wurde gestern unter der Tür meines Wohnwagens durchgeschoben. Sieh nur, was sie mir geschrieben haben!«
Es war ein Computerausdruck und schien so etwas wie ein Propagandaflugblatt zu sein, mit dem die Entschlossenheit und die Moral der Soldaten an der Front gestärkt werden sollten. Nach dem Lesen der ersten Zeilen erschloss sich mir die Botschaft. Offenbar war es von religiösen Eiferern verteilt worden; es ähnelte im Stil Texten, wie sie auf missionarischen Websites veröffentlicht wurden. Und weil es offenbar im Irak verfasst worden war, fehlten darin auch nicht gehässige Schmähungen, wie sie dort in amerikanischen Kasernen, Cafeterias und an Checkpoints üblich waren und mit denen die Soldaten ihrem Groll freien Lauf ließen: Verwünschungen gegen die »Hadschis«, die die Wohltaten, die man ihnen brachte, wie den Wiederaufbau von Schulen, die Installation von Wasserpumpen oder die Bereitstellung von Krankenstationen und Kliniken, gar nicht verdienten. Die Iraker waren eben Leute, die einen Tyrannen brauchten, keine Freiheit, und die man besser einfach niederschlug und verprügelte, ja am besten tötete man so viele wie möglich von ihnen.
Aber die Überraschung kam noch: Das Pamphlet enthielt auch eine scharf formulierte persönliche Warnung gegen Miller und verlieh dem Krieg religiöse Weihen, indem es ihn als einen Krieg des christlichen Amerika gegen die Araber und die Muslime bezeichnete. Ich las:
»Die göttliche Vorsehung wollte, dass dieser Krieg stattfindet, und er ist Teil eines universalen Planes. Sie und wir sind für diese heilige Mission auserwählt worden. Wir sind Teil dieser Schlacht, und wir haben hier die Gelegenheit, uns aktiv, nicht nur am Rande, an ihr zu beteiligen. Hier wird weder um ein Land gekämpft noch um Öl, noch geht es um eine Neugestaltung desNahen Ostens oder die Verbreitung von Demokratie. Es geht vielmehr um etwas Unverhandelbares, nämlich die Bezwingung des Bösen, indem wir die Muslime vernichten. Unser Bund mit dem Herrn berechtigt uns dazu, und wir werden diesen Bund nicht brechen, denn Gott ist mit uns. Es ist ein Kreuzzug, und Sie sollten nicht glauben, dass Sie darin nur eine Nebenrolle spielen. Sie sind aufgerufen, Ihre Brüder, die Soldaten des Herrn, die ihr Leben dieser Schlacht verschrieben haben, zu retten. Sie haben sich als Freiwillige gemeldet, um die Armeen des Satans zu bekämpfen. Stellen Sie sich ihnen also nicht entgegen, auf dass Sie nicht den Kräften des Antichrist zuarbeiten, ohne es zu ahnen. Und hören Sie auf, ihnen Beschuldigungen anzuhängen. Unsere Soldaten erfüllen ihre Pflicht vor Gott in einem Krieg auf Leben und Tod, der nur mit der Zerstörung der
Weitere Kostenlose Bücher