Gottes blutiger Himmel
differenzierter geführt; man begann Videos zu veröffentlichen, in denen Kinder den Koran rezitierten und religiöse Gedichte aufsagten, wodurch sie angeblich darauf vorbereitet wurden, irgendwann blutige Selbstmordattentate zu begehen. Um das Ganze zu untermauern, versicherten unsere Experten, dass Kinder durch Filme über eine Organisation namens ›Jünglinge des Paradieses‹ rekrutiert würden, in denen Kinder zu sehen waren, die an Waffen ausgebildet wurden. Diese Behauptungen waren nicht ganz aus der Luft gegriffen, der Verband war eine Unterabteilung von al-Qaida und sollte dazu dienen, Kriegswaisen zu gewinnen, deren Eltern bei Bombenangriffen getötet oder Opfer sektiererischer Gewalt geworden waren. Man nutzte ihr Waisentum, ihre Armut und ihren Wunsch nach Rache aus, um sie für Beobachtungsmissionen oder die Überbringung von Nachrichten einzusetzen. Kinder erregten meist keinen Verdacht, wenn sie sich Checkpoints oder sensiblen Anlagen näherten, aber manche entwickelten auch den Eifer, bei Kampfeinsätzen mitzumachen. Es stellte sich jedoch heraus, dass dies keine Kinder mehr waren, sondern Jugendliche von etwa fünfzehn Jahren. Dann bedienten sich die Experten einer weiteren Gruppe namens ›Vögelchen des Paradieses‹, die zu al-Qaida oder zu islamischen Widerstandsgruppen gehörte, über die aber kaum jemand etwaswusste. Diese kümmerte sich um arme Waisenkinder, auch solche, die noch in Windeln lagen, und unterrichtete sie. Möglicherweise wollte man sie Jahre später auch für Kampfeinsätze trainieren, aber das kann niemand mit Sicherheit sagen. Jedenfalls verbreiteten sie über diesen Verein, er bestehe aus kleinen Kämpfern und Selbstmordattentätern. Und das alles nur, um zu verdecken, dass sie selbst versehentlich achtjährige Kinder zu Tode gefoltert hatten. Nun hieß es, die Eltern dieser Kinder würden ihre Kleinen an al-Qaida verschenken, wo sie als menschliche Bomben eingesetzt würden. Der Informant, der mir dies alles berichtet hatte, widerrief seine Aussagen und verschwand, nachdem ich ihn benannt hatte.
Wo ich festgehalten wurde, stand ich unter Kontaktsperre, bis man mir einen Prozess machte. Die Anklage lautete auf unpatriotisches Verhalten, Schwächung der Kriegsführung und Geheimnisverrat. Man weiß ja dieser Tage nicht, wessen man alles beschuldigt wird. Wenn man Journalist ist, lautet der Tatvorwurf im geringsten Fall Verbreitung unwahrer Tatsachen. Allerdings intervenierten andere offizielle Stellen, so dass das Verfahren eingestellt wurde und ich im Irak bleiben konnte, damit die Sache in der Presse keine Wellen schlug.
Wie auch immer: Ob es mir nun um die Wahrheit geht oder nicht, was mich zudem motiviert, ist, dass meine Bemühungen entlohnt werden. Auf jeden Fall tue ich keine schmutzige Arbeit.«
Miller sagte nichts. Jimmy nahm einen tiefen Atemzug und fuhr fort: »Darf ich Ihnen einen Rat geben? Lassen Sie Reverend Barcley nicht entwischen. Vernehmen Sie ihn schnell, und lassen Sie sich von seiner Religiosität nicht blenden. Denken Sie daran, dass er ein Trickser ist. Als er noch als Prediger in den USA auftrat, war er in Unterschlagungsskandaleverwickelt und ließ sich moralisch einiges zuschulden kommen.«
»Hat er Vorstrafen?«, fragte Miller.
»Sein Register ist sauber, obwohl er vor einigen Jahren sein Priesteramt zum Aufbau eines Wohltätigkeitsprojektes genutzt hat, das anschließend pleiteging. Alle Spenden lösten sich in Luft auf. Ironischerweise schwiegen die Spender trotzdem, weil Barcley ihnen in seinen Predigten eingeredet hatte, dass sie im Jenseits auf Erlösung hoffen könnten.«
»Ich befürchte aber, dass er diesmal unschuldig sein könnte. Vielleicht wusste Barcley ja gar nicht, wohin die Kampftruppe fuhr und was sie dort tat. Es könnte auch sein, dass die Söldner ihn benutzt haben, um ihren Aktionen Legitimität zu verleihen und sich selbst das Gewissen reinzuwaschen.«
»Glauben Sie nur nicht, dass er ein Mann der Liebe und des Friedens ist. Er predigt Krieg und Hass und hetzt blutrünstige Marines und Söldner zum Töten auf. Er hasst ohne Ausnahme und ohne Unterschied alle Iraker und sagt in seinen Pamphleten und Vorträgen explizit, dass es am besten sei, sie alle zu töten.«
Barcley vorzuladen war für Miller nun unumgänglich.
Die zwölfte E-Mail
Ich weiß nicht, wie tief ich noch in dieses Land hineingezogen werde.
Die Menschen hier sind wandelnde Tragödien, und jede Leidenserzählung ist schlimmer als die andere. Ich
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