Gottes blutiger Himmel
was Sana wirklich möchte. Am liebsten würde ich Samer und Sana aus meinem Bewusstsein verbannen, um mich nur dem Gedanken an mein ungeborenes Kind widmen zu können. Würde mein Aufenthalt im Irak das Kind am Ende doch um sein Recht auf Leben bringen? Ich versuchte die Frage nicht vorschnell in diesemSinn zu beantworten, obwohl es sich mir fast aufdrängte. Was würden wir unserem Kind denn bieten können angesichts der Verheerungen, die wohl bald die ganze Region erfassen würden, wozu sollten wir es in ein Dasein schicken, das wir ihm besser nicht zumuteten? Solche Überlegungen wären mir nicht in den Sinn gekommen, hätte ich nicht gesehen, wie leichtfertig man im Irak in jedem Augenblick mit Leben umging, mit welcher Brutalität, aus welch nichtigen Gründen und durch welch flüchtige Zufälle man hier getötet wurde. Wozu sollte man noch danach trachten, das eigene Leben zu erhalten, wenn es ohnehin nichts wert zu sein schien?
Meine Gedanken kehrten zurück zu Sana. Die Entscheidung betraf nicht nur mich. Sie wollte ein Kind, das ihr in ihrer Ehe nicht zuteilgeworden war. Jetzt war die Gelegenheit da, sie würde sie nicht vergeben, indem sie die Entscheidung mir überließ. Aber auch sie konnte nicht allein darüber bestimmen, obgleich es so schien – es sei denn, sie wollte das Kind notfalls auch ohne Vater.
Miller kehrte voller Zorn von einer Zusammenkunft mit dem Colonel zurück. Der hatte von seinem Verdacht nichts wissen wollen und mitgeteilt, dass er mit seiner Geduld am Ende sei. Miller solle die Ermittlungen zur Not ohne Ergebnis einstellen. Der Major verlangte mehr Zeit, bekam aber nur zwei Tage als allerletzte Frist. Sein Treffen mit den Metracorp-Chefs war ebenfalls ein Fehlschlag gewesen. Sie drohten, sich im Pentagon und im Weißen Haus über ihn zu beschweren, und verweigerten jede Zusammenarbeit. Im Übrigen bildeten ihre Leute nur aus, und wenn sie kämpften, dann würden sie keine Leichen verunstalten. Wenn Fehler trotzdem einmal vorkämen, dann sei das eben im Krieg so.
Zudem kritisierte der Colonel Miller, weil er sich nicht um die Homosexuellen kümmerte, obgleich er wusste, dass Leutnant Jonathan sich der Sache Tag für Tag annahm. Nun sollte Miller sich wieder selbst mit der Sache befassen, obwohl er persönliche Gründe dafür angeführt hatte, sie an seinen Assistenten zu delegieren: Zwar wollte auch er den Homosexuellen helfen, ein direkter Umgang mit ihnen sei ihm aber unangenehm. Indem er ihm vorwarf, zu wenig zu tun, verstärkte der Colonel seinen Druck auf Miller, insbesondere nachdem die Angelegenheit immer größere Kreise gezogen hatte, denn wie sich herausstellte, gingen die Todesdrohungen gegen die jungen Männer auf eine Fatwa zurück, die schiitische Geistliche erlassen hatten. Auch das Weiße Haus und das britische Foreign Office wussten bereits davon, und die Koalitionstruppen hatten Anweisung bekommen, schnelle Maßnahmen zum Schutz der Betroffenen zu ergreifen.
Miller war nicht klar, ob der Colonel der Frage der Homosexuellen so großes Gewicht beimaß, weil er Anweisungen aus Washington hatte oder weil er ihn unter Druck setzen wollte. Miller unterrichtete Jonathan, der es bereits wusste, betonte aber, um Jonathan keine zu großen Hoffnungen zu machen, dass die Schutzmaßnahmen nicht schnell umzusetzen seien. Viel wichtiger war es seiner Einschätzung nach, unter größter Geheimhaltung vorzugehen und die irakischen Behörden in keiner Weise zu irgendetwas zu provozieren. Alle hatten Angst, dass die Geistlichen jede Maßnahme der Amerikaner dazu nutzen würden, die Stimmung weiter anzuheizen. Daher hatte Miller auch neue Instruktionen erhalten, dass alle Schritte zur Rettung der Homosexuellen heimlich in Zusammenarbeit mit der Menschenrechtsvertreterin zu vollziehen seien. Damit sollte auch erreicht werden, dass Letztere nicht plauderte und westliche Fernsehsender dieNachricht nicht groß aufziehen würden. Oberste Priorität hatte jetzt, Zeit zu gewinnen, indem man Scheinmaßnahmen ergriff. »Aber wirksam werden sie dennoch sein«, scherzte Jonathan mit ernster Miene.
Zu mir gewandt sagte er: »Ich muss wohl einer von der berühmten fünften Kolonne sein, die in der US-Armee im Irak tätig ist.« Und er verriet mir, dass er unter Pseudonym einen Internetblog betrieb, in dem er berichtete, was er von anderen amerikanischen Soldaten im Irak erzählt bekam. Er schrieb dort über die Demütigung von Irakern an Checkpoints, über Hausdurchsuchungen und
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